Die Schwester der Nonne
Vertreter und Kontoristen. Fast täglich kamen Wagen, um Waren zu bringen oder zu holen. Benedictus musste sich diese Quelle wieder erschließen.
Immer wieder warf Katharina einen kurzen fragenden Blick zu Magister Siebenpfeiffer. Dieser schien das nicht zu bemerken. Bleicher als sonst hockte er auf der Bank, vor sich eines seiner Bücher über griechische Philosophen. Monoton und einschläfernd las er daraus vor, ohne sich zu überzeugen, ob Maria und Katharina die lectio mitschrieben.
Dass Klaus seit zwei Tagen nicht mehr zur Unterrichtung kam, erwähnte er mit keinem Wort. Die Zwillinge nahmen es mit schweigender Verwunderung zur Kenntnis. Nachzufragen geziemte sich nicht und würde wohl Magister Siebenpfeiffer beleidigen. Immerhin ließ er sich dazu herab, die Mädchen zu unterrichten. So verdiente er sich seine Mahlzeit in Hieronymus’ Haus wieder auf redliche Weise.
Allerdings war Siebenpfeiffer sehr wohl bekannt, wo sich Klaus befand, und auch warum. Benedictus hatte den Magister informiert und in gleichem Atemzug darauf hingewiesen, was es für ein Licht auf den Magister selbst werfen würde, wenn es an die Öffentlichkeit käme. Ein Ketzer und Mädchenschänder am Busen eines ehernwerten Magisters der Leipziger Universität genährt! Es würde das Aus für Siebenpfeiffer und sein Lehramt bedeuten.
Der Magister wusste, was für ihn auf dem Spiel stand. Er hatte keine Vorstellung davon, was er hätte dagegen tun können. Zwar glaubte er den Anschuldigungen gegen seinen Schüler nicht. Mochten die Studenten zu derben Späßen aufgelegt, rauflustig und trinkfest sein, von Klaus hätte er niemals ketzerische Äußerungen erwartet, wie sie ihm Benedictus unterstellte. Auch lag keine Anklage gegen den jungen Mann vor, was aber nichts zu bedeuten hatte.
Sobald es nach kanonischem Recht ging, oblag sowieso alles der Kirche, und die gab der Öffentlichkeit keine Rechenschaft. Was sich in den Folterkellern der Inquisition abspielte, blieb dem einfachen Volk verborgen. Zwar gab es ein Inquisitionsgericht. Das aber trat erst zusammen, wenn der Beschuldigte seine Untaten gestanden hatte. Und bis zu diesem Geständnis erfolgte die Wahrheitsfindung hinter dicken, schallgeschützten Mauern.
Siebenpfeiffer war kein todesmutiger Held. Er war Philosoph und Rechtsgelehrter. Und als solcher wusste er auch, wie kritisch die Lage war. Sein Hals war ihm näher als der seines liebestollen Studenten. Hieronymus Preller hatte ihm jahrzehntelang eine freundschaftliche Treue bewiesen. Sollte er ihm nun erzählen, dass ausgerechnet der Student, den er in Prellers Haus brachte, eine seiner Töchter verführt hatte?
Gegen Ende der Vorlesung hielt es Katharina nicht mehr aus. Während Siebenpfeiffer sein Buch in eine abgewetzte Ledermappe verstaute, verbeugten sich beide Mädchen artig vor ihm.
»Sagt, Herr Magister, geht es dem Herrn Studiosus nicht wohl? Wir haben seine Abwesenheit mit einem gewissen Bedauern zur Kenntnis genommen.« Siebenpfeiffer warf Katharina einen langen, eindringlichen Blick zu.
»Er wird nicht mehr kommen«, erwiderte er knapp und entschwand in Richtung Küche.
Die Mädchen blickten sich betroffen an.
»Was soll denn das nun heißen?«, fragte Katharina.
Maria hob die Schultern.
»Er wird dem Ruf seines Gewissens gefolgt sein, um die schändliche Beziehung zu dir zu beenden«, murmelte sie.
»Du meinst, er will nicht mehr mit uns zusammen sein?«
»Mit dir, Katharina. Das konnte einfach nicht gut gehen. Wenn er ein Mann von Ehre ist, dann bereut er, was er getan hat und tut Buße. Wie du es auch tun solltest. Und dann solltest du ihn vergessen.«
»Wenn er ein Mann von Ehre ist, dann hält er um meine Hand an«, konterte Katharina. »Wir lieben uns.«
Maria tippte mit dem Finger an die Stirn.
»Du bist verrückt. Vater würde nie zustimmen. Er ist ein armer Student, kann dir nichts bieten. Glaubst du wirklich, Vater entlässt dich in so eine ungesicherte Ehe?«
»Ich bekomme eine ordentliche Mitgift. Davon können wir leben«, gab Katharina patzig zurück. »Du wirst schon sehen, dass er mich heiratet.«
»Eher stürzt der Kirchturm ein«, erwiderte Maria. »Du hast auch mein Gewissen stark belastet, weil ich aus schwesterlicher Liebe zu dir geschwiegen und euer unzüchtiges Benehmen gedeckt habe. Vielleicht hätte ich das nicht tun sollen. Mein Beichtvater hat mir zugeredet, euer schändliches Verhältnis anzuzeigen. Dass ich es nicht getan habe, muss ich mit meinem eigenen Gewissen
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