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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gefalteter, mit einem Stein beschwerter Zettel, der auf der Schwelle abgelegt worden war.
    Darauf teilte Wilhelmine Cordes mit – jedenfalls stand ihr Name unter den Zeilen –, leider müsse ihr Sohn für einige Tage, womöglich sogar zwei oder drei Wochen, dem Unterricht fernbleiben. Sie müsse mit ihm zu einem plötzlich schwer erkrankten entfernten Verwandten reisen. Der habe sich bisher nie um den Jungen gekümmert, doch nun plötzlich wünsche er ihn vor seinem Tod zu sehen.
    Der Rektor war selbst ein alter, von mancherlei Zipperlein geplagter Mann und mit überraschenden Wünschen von Männern an der letzten Schwelle ihres Lebens vertraut. Er nickte so bekümmert wie nachsichtig. Obwohl der Tag noch sehr jung und der Rektor kein Freund dieser frühen Stunden, doch von heiterem Naturell war, fiel ihm dann sogleich ein, wie froh er sein konnte, dass er den jungen Cordes doch nicht mit einer Einzelrolle in der noch in diesem Monat stattfindenden jährlichen Schultheater-Aufführung besetzt hatte. Das wäre ein Desaster geworden! Er hatte ihn mit der in diesem Stück um den Kaiser Nero wichtigen Rolle der Agrippina betrauen wollen, denn der Junge hatte ein besonders in Anbetracht seiner einfachen Herkunft erstaunliches Gefühl für Sprache und Ausdruck. Doch dann hatte sich seine just in den Stimmbruch rutschende Stimme als unpassend für des maßlosen Kaisers listenreiche Mutter erwiesen.
    Es war gut gewesen, dass er diesem neuen Schüler, dem zwar etliche Jahre älteren, jedoch zierlichen und trotz der schon beeindruckenden Nasenform auch im Gesicht sanften Johannes Curio, die Rolle gegeben hatte. Der Junge war in jedem Fall auch sicher im Memorieren, sicherer als der für einen so umfänglichen Text wohl zu junge Cordes, das stand fest. Überhaupt gab Curio zu den allerbesten Hoffnungen Anlass. Wenn man bedachte, dass er als Kind einer ledigen Mutter im Helmstedter Waisenhaus aufgewachsen war – wirklich erstaunlich. Rektor Müller war ein engagierter Freund und Verfechter aufklärerischer Gedanken, er freute sich, dass es inzwischen etliche Knaben gab, die ihrer einfachen – ordentliche Bürger würden zu manchen sagen: zweifelhaften – Herkunft zum Trotz Intelligenz, Eifer und gute Sitten zeigten und zweifellos den Aufstieg in die Welt der Wissenschaften und zu einer zumindest bescheidenen bürgerlichen Existenz bewältigen würden.
    Als der Rektor bei diesem erfreulichen Gedanken angekommen war, brachte das Mädchen das Frühstück, und der Tag konnte beginnen. Nur flüchtig dachte er noch, wie schön es sei, dass der junge Cordes, der nur dank einer milden Stiftung die Lateinschule besuchen konnte, einen Verwandten habe, und er hoffte, der Kerl vererbe dem Jungen was. Bisher hatte er stets angenommen, er habe niemand außer seiner Mutter, die wiederum gar keine Familie habe und sich tapfer und arbeitsam allein durch das Leben schlage.

Kapitel 10
    Montag, 29. März, nach der Börsenzeit
    In Jensens Kaffeehaus herrschte wie immer nach Börsenschluss drangvolle Enge. Aus dem hinteren Raum klangen Lachen, Ausrufe von Ärger und das Klicken der Billardkugeln, über allem lag das Summen und Murmeln des Chors der Männerstimmen aus dem größeren, dem vorderen Raum. Selbstbewusste Damen, die sich ab und zu auf eine Tasse Kaffee oder Schokolade hier einfanden, waren klug genug, diese Stunde zu meiden. Kein noch so schmales Plätzchen war an den Tischen mehr frei, dazwischen standen Trauben von Männern, Tassen und Gläser in den Händen, Pfeifen qualmten, einige ganz Entschlossene versuchten, sich in ihre Zeitungslektüre zu vertiefen oder wenigstens die wichtigsten Meldungen zu überfliegen. Das Briefeschreiben hingegen unterblieb nun ganz, hier standen zwar wie in jedem besseren Kaffeehaus stets Tinte, Federn und Papierbögen zur Verfügung, doch niemand könnte jetzt eine Zeile verfassen, ohne angestoßen zu werden.
    Claes Herrmanns und sein alter Freund Bocholt hatten Plätze an der vorderen Fensterfront ergattert. Herrmanns lehnte sich zurück, streckte die langen Beine unter dem Tisch aus und faltete wohlig die Hände über dem allmählich rundlich werdenden Bauch. Der tägliche Gang zur Börse war wieder lohnend gewesen, er hatte auch ein paar gute Zuschläge auf Partien erwischt, die im Hinterland satten Gewinn versprachen. Das war besonders erfreulich, in diesen Wochen war sonst nur wenig Bewegung in den Geschäften. Gleichwohl war er froh, dass das lästige Stehen und Wachsamsein für heute vorbei

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