Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Hegolt ist seit drei Jahren hier – oder sogar vier? – und von bester Reputation. Er hat hier auch als junger Mann einen Teil seiner Kaufmannslehre absolviert und später einiges von der Welt gesehen. Er ist kenntnisreich und lebt in tadellosen Verhältnissen.»
«Und seine Frau? Wie man hört, ist die krank, und die ältere Tochter …»
«Was hat das mit seiner Aufgabe als Provisor zu tun? Seine Frau wird auch wieder gesund. Ich habe sie mal bei Pauli bei einem Frühstück getroffen, sie ist eine sehr angenehme Person, zurückhaltend und bescheiden – sie würde dir gefallen –, freundlich und von guten Manieren. Ansehnlich ist sie auch, was soll sie denn noch?»
«Das freut mich zu hören», erklärte Bocholt steif, «freut mich wirklich. Ich weiß gar nicht, warum du dich so echauffierst. Es ist noch keine Woche her, da hast du höchstpersönlich gesagt, es sei bedauerlich, dass der neue Prediger von St. Katharinen ein dummes polteriges Weib geheiratet hat, mit der werde er nie Hauptpastor.»
«Stimmt. Die ist wirklich ein böser Fehlgriff, weiß der Teufel, wie die Ehe zustande gekommen ist, na, vom Teufel sollte man bei einem Gottesmann wohl nicht reden. Aber Madam Hegolt ist eine feine Frau. Und ehe du weiter nörgelst, dein Vater, Gott hab ihn selig, hat hier auch so angefangen. Wo kam er doch her? Aus Wolfenbüttel? Ach, Osnabrück, na gut. Wenn du dich erinnerst: Noch als wir die Schulbank gedrückt haben, war euer Handel erheblich bescheidener als Hegolts heute. Lass den Mann sich mit tätigem Bürgersinn in der Stadt verdient machen. Davon reden wir doch immer. Ich kenne ein paar seiner auswärtigen Handelspartner, alle reden nur das Beste von ihm. Und sein Ehrgeiz – ja, der ist stark. Er möchte eben dazugehören. Wie wir alle. Das kann doch nicht schaden. Keinem fällt was in den Schoß, und die Stürme wehen heute stärker und kommen mehr von vorne als zu unserer Anfangszeit.»
Bocholt schluckte. Er sollte etwas vorsichtiger mit seinem Urteil sein. Der junge Hegolt, nun, so ganz jung war er nicht mehr, er kam ihm nur immer so vor, Hegolt also war ein Protegé von Herrmanns, und tatsächlich irrte Claes sich in solchen Angelegenheiten selten. Eigentlich nie.
«Ja, du hast recht. Er ist wohl tüchtig. Aber eine Meinung zu meiner Frage wirst du doch haben», kam er einlenkend zu seinem Thema zurück, « musst du haben, weil es letzten Endes uns alle Geld kosten wird. Auch dich. Jetzt haben sie für die Jungen auch noch einen Zeichenmeister eingestellt und für die Mädchen einen neuen Singmeister! Ich jedenfalls finde, wir sollten das alte Waisenhaus einfach schließen und kein neues bauen. Erst recht nicht am Gänsemarkt, in der guten Lage! Da ist es auch viel zu laut. Wie sollen die Kinder dabei was lernen? Nein, nein, Meckpeters Vorschlag ist richtig. Alle sollten bei Kosteltern untergebracht werden, das kommt trotz Kostgeld letztlich billiger und ist besser als im Haus am Rödingsmarkt. Gerade für die Kinder, da gibt’s keinen Zweifel. Man hört doch immer wieder, dass da richtige Schläger und Diebesbanden heranwachsen, richtige Rohlinge, die malträtieren sich gegenseitig bis aufs Blut. Sprich mal mit dem Wundarzt, der für die zuständig ist. Man muss diese Kinder trennen, die haben ja oft kein gutes Blut, und dann so viele von denen zusammen – das kann nicht gehen.»
«Wie stellst du dir das vor? Die Kinder sollen was lernen, ich meine Lesen, Schreiben, Rechnen, na, und die ganze Religion. Tüchtige Christenmenschen sollen sie werden, arbeitsam und so weiter, du weißt schon, was da alles in den Statuten steht. Und wer sich eignet, soll auf die Lateinschule gehen und auf die Universität. Solche sind immer wieder mal darunter, und es wäre dumm, helle Köpfe zu verschwenden. Erzähl mir jetzt nicht, dass die Kosteltern die Kinder zur Schule schicken. Draußen auf dem Land gibt’s oft gar keine, oder die Wege sind viel zu weit. Die meisten Bauern können selbst nicht lesen und schreiben, die können den Kindern auch nichts beibringen, die brauchen sie nur für die Arbeit. Vor allem aber: Wie stellt Meckpeter sich das also vor? Schon jetzt gibt’s nie genug Koststellen.»
Bocholt blinzelte irritiert. Woher hatte Claes plötzlich solche Reden? Das klang fast nach diesen neuen demokratischen Ideen, wieder ausgegraben aus den Schriften der alten Griechen. Dabei hatten die, schlau, wie sie waren, damit selbst bloß rumtheoretisiert.
«Wo kommen wir hin», fragte er beharrlich,
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