Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
unterzubringen. Auch nicht für die übrigen drei, allesamt sittsame Frauen. Sicher wisst Ihr, was für ein Haus es ist. Euren Gatten habe ich übrigens noch nicht an meinen Spieltischen begrüßen dürfen. Auch nicht in den übrigen, den diskreteren Zimmern.»
«Danke für die Auskunft, sehr verbunden. Ihr seid erstaunlich gut informiert. Ihr kennt Leute, die Euch nicht kennen, Ihr wisst, wer wo …»
«Hört auf», flüsterte Ina Hegolt plötzlich. «Dafür ist jetzt keine Zeit.»
«Doch, Ina, es ist noch Zeit. Wir wollen warten, bis er zu seiner Sitzung geht. Alberte hat gesagt, nicht vor fünf Uhr am Nachmittag.»
Ina nickte und schloss erschöpft die Augen. Obwohl ihr Kopf wieder klarer war, hatte sie daran nicht mehr gedacht, sie war zu ungeduldig und voller Angst.
«Pardon, Madam Hegolt», entschuldigte sich Rosina, «ich kann es immer schwer aushalten, wenn ich nicht weiß, was um mich herum vorgeht. Ihr seid sehr krank, wieso seid Ihr hier?»
«Weil sie nicht zu Hause bleiben konnte und wir uns vor langer Zeit geschworen haben, füreinander da zu sein», erklärte nun wieder Franziska. «Rührselig, nicht wahr? Junge Mädchen tun so etwas. Damals waren wir eine verschworene Gemeinschaft. Erst recht, als wir Kostkinder in der Stadt wurden. Ich muss Euch nicht erklären, dass man dabei mehr oder weniger Glück haben kann. Wir hatten weniger Glück, wie die meisten. Immerhin waren wir nicht mehr eingesperrt, und unsere flinken Finger konnten zeigen, was sie außer tagaus, tagein Strümpfe stricken geübt hatten.»
«Franziska!» Wilhelmines Stimme klang scharf.
«Das ist jetzt einerlei, Mine. Jede von uns ist später ihren Weg gegangen. Sehr unterschiedliche Wege, wie Ihr seht. Jede nach ihren Fähigkeiten. Nun gut, wir hatten ein kleines Kapital für den Anfang, unsere Finger haben fleißig Kleinigkeiten aus den Taschen wohlhabender Leute gezogen und sind nie erwischt worden. Wir waren flink, und solche Herren lassen sich erstaunlich leicht vom hilflosen Blick sehr junger Mädchen ablenken und merken dabei nicht, wenn eine andere sich indes aus ihren Taschen bedient.»
Franziska sprach jetzt schneller. Sie hatten nicht für einen Aniskringel oder ein paar Glasperlen gestohlen, den größeren Teil ihres Diebesguts hatten sie in einen gemeinsamen Topf getan, um es später zu teilen. Das war die Übereinkunft, der gemeinsame Plan, sie wollten eine Zukunft haben. Und dann erwischten sie einen großen, einen besonders großen Fisch.
«Fisch? Was für einen Fisch?»
«Den Inhalt einer Rocktasche – ich erinnere mich noch an den tannengrünen Samt –, der sich besonders lohnte. Es war nur ein schäbiges Lederbeutelchen, aber was darin glitzerte, war kein Glas. Wir waren Pfennige gewöhnt, mal ein Silberstück, einmal ein kleines Goldstück oder Silberknöpfe, Seidentücher, eine Schuhschnalle. Ihr glaubt nicht, wie locker manche dieser silbernen Schnallen saßen. Wir hatten nun diese Kostbarkeit und große Angst. Seltsamerweise wurde in der Stadt nie danach gesucht. Ich nehme an, der Goldschmied, dem es gehörte, hatte selbst damit betrogen, einen Hehler, den Zoll – was weiß ich. Womöglich war es gestohlen. Ein halbes Jahr darauf war seine Werkstatt geschlossen, unser Glücksgriff hatte ihn offenbar ruiniert, und er hatte die Stadt verlassen. Als sich dann eine günstige Gelegenheit ergab, haben wir das Beutelchen aus seinem Versteck geholt, den Inhalt verkauft und den Ertrag geteilt. Dann ging jede ihrer Wege, ich war damals ohnedies schon seit geraumer Zeit auf eigenem Weg. Wie viele Mädchen, solang sie nicht erwischt und aus der Stadt gejagt werden. Kein gutes Geschäft, aber ein einträgliches, wenn man es versteht, auf sich achtet und unabhängig bleibt. Wir hatten beschlossen, uns nur wieder zu treffen, wenn eine von uns in Not ist.»
Sie hatten sich lange daran gehalten, aber nach einigen Jahren doch wieder ab und zu getroffen, nachdem Franziska das Haus bei Wandsbek gekauft hatte, auch dort.
«Ich bin erst vor drei Jahren nach Hamburg zurückgekehrt.» Inas Stimme glich immer noch einem Flüstern, aber sie war nun klar und sicher. «Ich war zur Bürgerin geworden, ich wollte jede Verbindung mit meinem alten Leben vermeiden, ich musste es. Schon um meiner Kinder willen. Aber es ging nicht.» Sie sah ihre Schwestern an. «Als ich weg war, weit weg im Ausland, kam es mir einfach vor, aber so nah zu sein und euch nur von fern zu sehen – das ging nicht.»
«Dann haben sich alle wieder
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