Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
lange durchhalten, bat sie ihre Köchin um Hilfe, eine Entscheidung nach dem Gefühl, sie vertraute ihr einfach. Ihr blieb auch nichts anderes, die Töchter sind viel zu jung. Alberte, diese listenreiche Person, man muss sie bewundern.»
«Alberte, aha. Die Köchin? Die wandte sich an Euch?»
«Wie verständig Ihr seid. Ich werde Euch von nun an Rosina nennen. Aber wie wir Ina aus dem Haus, aus der Stadt und hierhergeschafft haben, bleibt mein Geheimnis. Vorerst. Vielleicht erzähle ich es Euch später einmal, wer weiß?»
«Und wenn wir die Töchter nicht aus dem Haus bekommen? Wenn ihr Vater da ist?»
Franziska kniff die Augen zusammen, schob die Unterlippe vor und schwieg, Rosina brauchte ihre ganze Aufmerksamkeit, die Kutsche um eine breite morastige Stelle zu lenken.
«Wenn er da ist», sagte Franziska, als die Kutsche wieder ruhiger rollte und die erste Befestigung nah war, «richten wir uns nach der Ersatzstrategie.»
Wieder schwieg sie, Rosina wurde ungeduldig. «Und? Ich bin dabei, ich sollte alle Strategien, die zum Einsatz kommen könnten, wenigstes annähernd kennen.»
«Bis es so weit ist, wird mir schon eine eingefallen sein.»
«Fabelhaft», fand Rosina, «ganz fabelhaft.»
«Nein.» Franziskas bis dahin gelassen und überlegen klingende Stimme vibrierte vor unterdrückter Wut. «Gar nicht fabelhaft, nur große Eile und große Angst.»
Wie stets gegen Abend war die Straße zum Steintor über die Maßen frequentiert. Wagen um Wagen, dazwischen auch eine Postkutsche, die ihr Recht in Anspruch nahm, mit Vorrang durchs Tor zu rollen und unter dem leider nur schräg quäkenden Schall des Posthorns alles zur Seite drängte, was möglich war. Es war zu spät, zum weiter südlich gelegenen Deichtor auszuweichen, aber wieder war es an Rosina, zu staunen. Der wachhabende Soldat salutierte besonders galant, und schon rollte ihr Wagen direkt hinter der Postkutsche in die Stadt.
Rosina bemühte sich, weder nach links noch rechts zu sehen, und hoffte, niemand von den Herrmanns oder gar Tobi werde sie entdecken. Bald begann es zu dunkeln, Pauline machte sich wohl schon Sorgen. Trotzdem, nun war wirklich weder die Zeit noch die Situation für Erklärungen. Das Verdeck war hochgeklappt, sodass der Wagen nur noch halb offen war, Franziska hatte sich in den Schatten zurückgelehnt, wie es ihre und der meisten erfahrenen Frauen ihrer Art und Profession Gewohnheit war. Hier sah sie, ließ sich aber selbst möglichst nicht sehen.
Rosina hatte immer noch Fragen. «Habt Ihr nicht gesagt, sie sei erst seit gestern sicher, ausgerechnet ihr Ehemann schütte Unbekömmliches in die Schokolade?»
«Sagt ruhig Gift. Sie wusste, dass wir sie gestern Nacht holen würden, die teure Schokolade hat sie an den letzten beiden Abenden nicht mehr getrunken, es ist ihr gelungen, sie unbemerkt in ihr Bett zu schütten. Sehr unangenehm, so ein feuchtes, klebriges Bett, Alberte hat in einem unbeobachteten Moment einmal für reine Laken gesorgt. Ohne die vermaledeite Schokolade ging es Ina tatsächlich besser, heute noch ein wenig mehr – die Sache mit dem Gift stimmt.»
«Was war nun gestern? Wir sind übrigens gleich da. Aber erst: gestern!
«Ihr seid hartnäckig. Ihr habt gesehen, wie geschwächt sie noch ist. Trotzdem hat sie es gestern geschafft, die Mappe mit ihren Papieren an sich zu nehmen. Ohne die würde sie nirgends hingehen. Sie hat hineingesehen und einen Brief vermisst. Keinen, den sie bekommen, sondern einen, den sie vor einigen Jahren, bevor sie mit Hegolt und den Kindern nach Hamburg zog, geschrieben und nicht abgeschickt hat. Vor drei Monaten, als sie sich noch gesund fühlte, war er noch da gewesen. Die Zeilen waren an mich gerichtet, es war dumm gewesen, den Bogen aufzuheben. Er enthielt nur Andeutungen, aber die reichten offenbar, ihn misstrauisch herumstöbern zu lassen.»
Obwohl Ina die beste, die treueste, gewiss die bravste Ehefrau sei, die man sich vorstellen könne, dächten sie alle, Hegolt fühle sich von ihr betrogen, schändlich betrogen sogar, und sei eitel genug, sich auf diese Weise zu rächen. Das Gift, welches auch immer, schwäche sie immer mehr, wenn es sie nicht töte, das müsse man gar nicht unterstellen, bringe es stetes Siechtum. Sie schlang die Arme um ihren Körper. Rosina spürte ihre Anspannung wie eine Berührung.
«Genau und kühl betrachtet», fuhr Franziska fort, «verstecken sich doch eine ganz Reihe Spekulationen in der Geschichte.»
«Das scheint mir auch so. Irgendwann
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