Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
oder als guter Christ dazu bereit war, auch die andere Backe hinzuhalten. Und sei es weniger Christus als Elske zuliebe. Er wollte nicht darüber nachdenken, das brachte nur Ärger ein. So schwang Luis sich mit schiefem Grinsen auf das leere Fuhrwerk, Pieter schnalzte schon, und das Pferd zog an.
Pieter war auf dem Borgesch ein wichtiger Mann. Auf dem so bezeichneten weiten Platz in der Vorstadt St. Georg lagerten, schnitten und sägten die Zimmerer große Mengen von Holz. Wenn Pieter auch kein Meister war – Luis wusste nicht, ob er es überhaupt bis zum Gesellen gebracht hatte –, wurde er von allen als so eine Art unterer Verwalter oder Aufseher des Holzplatzes und der dort stattfindenden Arbeit akzeptiert. Natürlich gab es einen Mann in feinerem Tuch und ohne Schwielen an den Händen, der das Amt tatsächlich innehatte, aber Pieter Hillmer war der, der sich auskannte, tatsächlich die Arbeit auf dem Platz übersah, organisierte und beaufsichtigte. Er sprach wenig, vielleicht war das der Grund, warum Elske nicht längst seine Frau war, als Luis zu Beginn des Winters auftauchte, als er schließlich Elske umwarb und schnell eroberte. Luis verstand immer noch nicht, warum Pieter ihn nicht windelweich geschlagen und davongejagt hatte. So wie er, Luis, es im umgekehrten Fall getan hätte.
Elske wohnte und arbeitete in der Schänke am Borgesch, aber sie arbeitete auch für Pieter. Sie führte für ihn Holzlisten oder schrieb seine unleserliche Krakelei sauber in das dicke Buch, das er in seinem Holzkontor verwahrte. So wurde das kleine Zimmer neben dem etwas größeren bezeichnet, in dem er wohnte. Vielleicht hatte er Luis nicht ernst genommen, vielleicht hatte er sich nicht vorstellen können, dass Elske sich in einen verliebte, den sie erst gesund pflegen musste und der zehn Jahre jünger war als sie. Ein Flößer zudem, der nichts versprach, von dem nur sicher war, dass er in absehbarer Zeit wieder verschwinden und sie zurücklassen würde. Pieter verstand wenig von den Frauen.
So oder so, er war einer von diesen Männern, die kaum jemals zeigten, was in ihnen vorging, die in ihrer Arbeit und im Umgang mit den Männern bedächtig, aber entschieden handelten, während sie verstummten, wenn es um Frauen, Freundschaft und um die Liebe ging.
«Was denkst du, was da passiert ist?», fragte Luis, als der Wagen an St. Jakobi vorbeigerollt war und vor der Springeltwiete wartete, bis eine hoch mit Schmutz bespritzte Droschke passierte und die Durchfahrt für sie frei machte.
Pieter hatte die Ellbogen auf die Schenkel gestützt, die Zügel lagen locker in seinen Händen, der Gaul kannte den tausendmal gegangenen Weg zurück nach seinem Stall im Schlaf. Schließlich hob er gleichmütig die Schultern. «Was weiß ich. Geht mich das was an? Oder dich?»
«Klar», rief Luis, in manchen Momenten brachte Pieter ihn doch an den Rand seiner Geduld. «Klar. Tu doch nicht so stupide, Mann. Immerhin haben wir die Leiche gefunden, jedenfalls fast.»
«Fast, genau. Gefunden hat sie die vorwitzige Madam im roten Kleid. Beinahe wär die jetzt selbst ’ne eiskalte Wasserleiche. Die könnt uns was angehen, die haben wir ans Ufer gezogen. Die andere – was weiß ich?»
«Dafür hat’s dir ganz schön den Magen umgedreht. Das hab ich bei dir noch nie gesehen.»
Pieter schlug den Kragen seiner Joppe hoch, der Wind pfiff kalt und scharf durch die tief im Schatten liegenden engen Straßen, und knurrte Unverständliches. Luis fragte nicht nach, das hatte keinen Zweck.
Er legte den Kopf in den Nacken und sah zwischen den hohen Häusern zum Himmel hinauf. Das tat er immer, wenn ihn die Enge und der Gestank in der Stadt bedrängten. Schon jetzt im Winter fand er beides an der Grenze des Erträglichen. Allein die Vorstellung, wie es in der Sommerhitze sein musste, bereitete ihm Übelkeit. Vielleicht wäre er längst fort, wohnte er nicht am Borgesch außerhalb des Wallringes. Dort standen die Häuser anders als hier weit auseinander, wenn man sich erst an die nahen Schweinkoben und die Abfallgruben gewöhnt hatte, zählte nur der Blick weit über die Äcker, Gärten und das Flusstal, an Tagen ohne Nebel von einem der höheren Holzstöße aus bis ins Lüneburgische hinter der Süderelbe.
Er hatte geplant, zwei oder drei, höchstens vier Wochen, gewiss nicht den ganzen Winter in Hamburg zu bleiben. Es hatte sich so ergeben – diese verdammten Stämme! –, und nun war es endgültig Zeit für den Heimweg, spätestens wenn der Frost
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