Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
sich verlässlich verabschiedet hatte. Dann war die Luft mild und die erwachende Natur eine Lust, obwohl es für die Wege zugleich den schlimmsten Morast verhieß.
Manchmal löste der Gedanke an seine Rückkehr eine Freude aus, die sein Herz schneller schlagen ließ, manchmal machte er ihn wehmütig. Nur zum Teil wegen des damit verbundenen Abschieds von den Menschen, mit denen er diesen Winter verbracht hatte, vor allem, weil dann alles anders wurde, sein ganzes Leben. Diese Reise bedeutete eine Zäsur, danach war es aus mit der Flößerei. Mit der Freiheit. Auch mit den Frauen.
Das Leben hielt eben bereit, was es bereithielt, und sein Bein war wieder gesund. Er hatte Glück gehabt, wäre es nur ein bisschen stärker gequetscht worden, als es ihm zwischen die Stämme geriet, hätte er auf nur einem Bein und einer Krücke heimhumpeln müssen. Wenn er das Desaster überhaupt überlebt hätte. Für einen Einbeinigen war der Weg zu weit, da hätte er einen Wagen finden müssen, der ihn mitnahm, und das war teuer. Wobei der Reisepreis für ihn ein geringes Problem gewesen wäre, was niemand von den Holzarbeitern wusste. Auch sonst niemand, Elske bestimmt nicht, da war er sicher.
Er hatte es nie gesagt oder durch teure Geschenke gezeigt, und sie war keine, die heimlich seine Sachen durchsuchte. Abgesehen von ihrer Neugier, die er als den Frauen angeboren erachtete, hatte sie keinen Grund dazu. Wenn er endgültig fortging, wollte er ihr ein ansehnliches Geschenk machen, bis dahin fiel ihm schon noch ein, was sie am meisten freute und was sie am besten brauchen konnte. Ohne Elske wäre dieser Winter nicht nur für seinen Körper, sondern auch für seine Seele kalt gewesen. Sogar bitterkalt.
In schwachen Momenten hatte er sich vorgestellt, Elske mitzunehmen. Das war natürlich unmöglich. Sie wusste das, von Anfang an, sie war eine vernünftige Person. Dabei konnte sie erschreckend eifersüchtig sein, einmal hatte sie ihn in ihrem Zorn versucht zu schlagen. Da hatte er ihre Arme festgehalten und gelacht. Weder freundlich noch nachsichtig oder gar amüsiert, er würde niemals zulassen, dass eine Frau ihn schlug. Ihr Zorn war wie meistens so schnell verraucht, wie er aufgeflammt war. Dann hatte sie mit ihm gelacht, heiterer als er, eben dieses besondere, breite Lachen, tief aus der Kehle, das ihm zuerst an ihr gefallen hatte. Sie war bei aller Großherzigkeit eine kampflustige Person, er wäre höchst ungern ihr Feind.
Er würde sie vermissen, ihr großes Herz, ihren warmen weichen Körper, ihre trotzige Lebenslust, ihren Mut. Doch die Frau, die zu Hause auf ihn wartete, war die passende Wahl für ihn und für die Zukunft der Familie. Vergessen würde er Elske nie, daran zweifelte Luis keine Minute. Wenn man dreiundzwanzig Jahre alt ist, besteht das Leben aus lauter Gewissheiten.
Das Bein war nun verheilt, nicht zuletzt dank Elskes Pflege und Fürsorge. Besonders als das Fieber kam und der Chirurg schon die Säge schärfte, hatte sie Tag und Nacht bei ihm gesessen – wann hatte sie überhaupt geschlafen? –, kalte Umschläge gemacht, Kräuter zu heilkräftigen Dämpfen verbrannt und ihm alle möglichen angeblich kräftigenden Tränke eingeflößt, stinkende Salben aufgestrichen. Und gebetet, das auch. Im Fieber hatte er sie manchmal murmeln gehört. Es hatte geholfen, sogar gegen die immer wiederkehrenden Wellen von Angst. Inzwischen kannte er sie besser und argwöhnte, es könnten Zaubersprüche gewesen sein, was ihm letztlich einerlei war. In ketzerischen Momenten dachte er mit einer für sein Alter unpassenden Weisheit, zwischen beiden liege manchmal wenig Unterschied. Er vertraute auf einen milden, einen verständigen Gott.
Jedenfalls hatte es geholfen, also konnte es nicht schlecht gewesen sein. Nur die Narben waren groß und hart geblieben, er würde sie auch zukünftig spüren, und das Bein war nun weniger stark als das andere.
Es wird ihm recht sein, dachte er ohne Groll an seinen Vater, es wird ihn sicher machen, dass ich nicht mehr auf die Flöße gehe.
Als könnte das bisschen Steife in einem Bein ihn davon abhalten. Auch so war er immer noch behände genug für die gefahrvolle, die Kräfte zehrende Arbeit. Er wollte aus anderem Grund bleiben und in das Leben eines Floßherrn hineinwachsen, wie es die Familientradition verlangte. Es erschien ihm nicht als Opfer, es war einfach sein vorherbestimmter Weg. Er überlegte flüchtig, ob der Toten aus der Alster ein solches Ende vorherbestimmt gewesen war. Der
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