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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Entschiedenheit. «Nein. Hätte sie länger im Wasser gelegen, bevor, nun ja, bevor sie zu Eis wurde, sähe der Leichnam anders aus. Aufgedunsener, weniger – vollständig, mehr …»
    «Es ist gut, Wagner. Ich glaube es. Wirklich. Heute vertrage ich keine gräulichen Details. Gehen wir also davon aus, ihr Leben endete dort, wo der Leichnam im Eis lag …»
    «Ihr habt gerade gesagt: Sie muss in der Nacht ins Eis geraten sein», unterbrach Wagner. «Warum eigentlich?»
    «Habe ich das gesagt? Na gut, ich stelle es mir einfach so vor. Ein Mord am helllichten Tag in einer belebten Gegend – das hätte jemand gesehen, oder? Dort ist nicht der Jungfernstieg oder der Gänsemarkt, aber das Ufer ist an der Stelle nicht gerade einsam. Man sieht es sogar von der Brücke beim Lombard. Auf dem Holzplatz sind am Tag fast immer Leute. Jemand hätte es gehört, wenn sie um Hilfe gerufen hat. Das kann natürlich falsch sein. Leider ist diese Geschichte kein Theaterstück, und die Realität richtet sich selten nach der Phantasie.»
    «Hmm.» Wagner blickte sinnend in sein leeres Portweinglas. «Es ist nur – der Holzplatz ist nachts verschlossen. Zwar gibt es keinen eigenen Posten, auch keine Hunde, dafür ist das nächste Wachhaus nah, und die Nachtwächter patrouillieren dort häufig. Der Winter war besonders lang und kalt, da versuchen sich noch mehr Leute als Holzdiebe als sonst.»
    «Und bei der Bastion Vincent haben die Laternenträger ihre Station.»
    «In sehr kalten Nächten trifft man allerdings nur selten einen an.»
    «Und wer hat den Schlüssel?» Rosina saß plötzlich sehr aufrecht. «Den Schlüssel für das Holzplatztor.»
    Wagner grinste gutmütig. « Die Schlüssel. Es gibt zwei, je einen für zwei Tore. Beide hat der Aufseher und gibt sie niemandem sonst, da ist er eigen. Er verwahrt sie auch nachts. Ich habe ihn schon befragt, Rosina. Es wäre hübsch einfach gewesen, leider kommt der alte Tönnsmann als Täter nicht infrage. Er hat die Gicht, in diesem Winter plagt sie ihn besonders schwer, und geht nur mühsam am Stock und nicht mehr aus dem Haus, nachdem er den Platz geschlossen hat. Das geschieht wie bei den Stadttoren mit dem Sonnenuntergang. Das sagt er, das sagt seine Frau, der Brillenmacher im Parterre des Hauses, in dem die Tönnsmanns wohnen, und auch Dr.   Pullmann. Der sieht nämlich ab und zu nach ihm und gibt ihm von seinen Wundermitteln gegen eine kleine Ladung Torf. Er kommt keinesfalls infrage.»
    Anders, als der Weddemeister annahm, war Rosina nicht im Mindesten enttäuscht. Natürlich sollte kein Mörder in der Stadt herumlaufen und womöglich Lust auf neue Untaten bekommen, doch endlich bekam ihr unruhiger Geist etwas Sinnvolles zu tun, endlich hatte das Gleichmaß der Tage und einsamen Nächte ein Ende. Die Frage nach einer Beschäftigung, insbesondere einer, die auch den dahingeschmolzenen Rest ihres Erbes wieder auffüllen könnte, damit sie nicht völlig auf Magnus’ Versorgung vertrauen musste, konnte aufgeschoben werden.
    «So oder so», versuchte Rosina ein Resümee, «was hat sie dort in der Dunkelheit und Kälte gemacht? Wenn sie an der Stelle ins Wasser, besser gesagt, in die Eisschollen gestoßen worden ist, wo ich geradezu über sie gestolpert bin, hat sie entweder jemand halbtot ans Ufer des Holzplatzes geschleppt, oder sie hatte da ein Stelldichein. Was in einer eiskalten Winternacht wenig verlockend klingt. Es sei denn, es gab einen besonderen Grund. Oder – ja, oder sie hatte überhaupt kein Obdach, hat auf der Straße gelebt und sich für die Nacht einen Unterschlupf im Holz gesucht. Aha, Ihr schüttelt den Kopf.»
    «Weil das nicht sein kann. In diesen Winternächten wäre draußen jeder erfroren, der kalte Tod hat sich ja auch wieder einige dieser Elenden geholt. Außerdem sieht eine Landstreicherin oder eine, die in irgendeinem nassen Keller oder Verschlag haust, anders aus.»
    «Stimmt, ich denke in die falsche Richtung. Sie war gut genährt, sagt der Physikus, und ihre Kleider wirkten bescheiden, doch keinesfalls wie Lumpen. Wobei wir bei der wichtigsten Frage wären. Ihr hättet es gewiss längst erwähnt, wenn Ihr es wüsstet: Wer war sie?»
    Mit einem tiefen Schnaufer rutschte Wagner wieder nach vorn auf die Stuhlkante. Ganz nach vorn.
    «Leider», sagte er, «leider weiß ich es noch nicht. Niemand scheint es zu wissen. Oder will es wissen. Es wird auch keine vermisst, auf die ihre Beschreibung passt. Wobei fraglich ist, ob überhaupt jemand vermisst wird. In

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