Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Häuser am Platz gegenüber vom Drillhaus. Da beim Holzplatz.»
«Paulis? Welche Paulis?», fragte eine strenge Stimme hinter ihnen. Der Weddemeister war gerade rechtzeitig eingetreten, um den letzten Satz noch zu hören. Auf dem Rückweg von Rosinas Wohnung hatte er plötzlich das Gefühl gehabt, es werde ihm weiterhelfen, wenn er sich die Tote noch einmal genauer ansehe. Nun sah er Baldur, den er als Gehilfen des Stadtphysikus schon lange von ähnlichen Gelegenheiten kannte, fragend an.
«Sie kennen die Tote», erklärte der eifrig, «und sind gekommen, um sie zu iden …, id …, ja, um sie anzusehen und zu benennen. Der Herr Stadtphysikus ist anderweitig beschäftigt und hat mir aufgetragen, alles Wichtige zu notieren. Zweifellos, um es Euch zu übergeben, Weddemeister, zweifellos. Aber nun seid Ihr ja selbst hier.» Mit einer Verbeugung trat er einen Schritt zurück und räumte Wagner seinen Platz neben den beiden Alten ein.
Wagner blickte auf die ärmlichen, dürren Gestalten, auf den in devoter Haltung stehenden Baldur, und fühlte sich stark und bedeutend. Dieses gute Gefühl wurde nur sehr wenig von einem Hauch von schlechtem Gewissen ob dieses Anfluges von Eitelkeit überschattet.
«Wanda heißt sie also», sagte er und wippte ein kleines bisschen auf den Fußspitzen auf und ab.
«Oder Hanna», erklärte Baldur, und die alte Frau nickte heftig. Der Familienname sei bei den Paulis zu erfragen, der Seidenhändlerfamilie, die wohnten gegenüber dem Drillhaus, nur zwei oder drei Häuser von der Einmündung der Neuestraße, es sei ein großes, wenn auch recht altes Haus, gleich neben einem Gürtler und nicht zu verfehlen.
«Sie ist da Hausmagd gewesen», erklärte Mette, «schon einige Jahre. So eine brave Person, immer freundlich, ein bisschen verträumt manchmal, vielleicht zu sehr für dieses Jammertal. Und jetzt», eine Träne rann über die zerknitterte Haut ihres Gesichts, «und jetzt nur noch vergehend’ Fleisch. Ein irdisches Restlein.»
«Ach, ein solches Unglück», fiel ihr Bruder ihr ins Wort, «immer trifft es die Falschen, nie die Richtigen, nämlich die Bösen, ja, die Welt ist voller Unrecht.»
So lamentierten sie noch ein wenig, mal sie, mal er, stets einander mit eifrigem Nicken bestätigend, während der Gehilfe des Physikus mit mühsam gemalten Buchstaben einige der Angaben notierte.
«Und woher», wollte Wagner wissen, «kennt Ihr die – na, diese Wanda oder Hanna?»
Das war schnell erklärt. Sie hatten die Tote als Hausmagd des Kaufmanns und Seidenhändlers Pauli häufig auf der Straße getroffen, denn die beiden verdienten ihr Brot als Straßenhändler. Je nach Jahreszeit verkauften sie Windräder und Strohpüppchen, Äpfel und Birnen, Reisig, manchmal Nähnadeln, wenn das Geld für die Zutaten reichte, auch mal Aniskringel. Die aßen sie nur selbst zu gern, erklärte die Schwester mädchenhaft kichernd, weshalb die ein schlechtes Geschäft seien. Die beiden bewohnten ein Souterrain-Zimmer einige Häuser von dem der Paulis entfernt, und Wanda – «Hanna, Bruder, sie hieß doch Hanna», kam prompt die Verbesserung – hatte ab und zu etwas bei ihnen gekauft und immer, wenn sie einander begegneten, ein freundliches Wort gehabt. Manchmal sogar Zeit für ein Schwätzchen, was selten sei in diesen hektischen Zeiten, früher, in ihrer Jugend, da sei das Leben viel ruhiger gewesen, ja, früher hätte jeder Zeit für den anderen gehabt, da hätte man sich auch geholfen, früher …
Wagner bemühte sich, trotz seiner Ungeduld freundlich zu bleiben. Aus einem ihm unersichtlichen Grund jammerten ihn diese beiden Alten. Auf seine Frage, wann sie die Tote zuletzt gesehen hatten, antworteten sie ausnahmsweise rasch und ohne Umwege.
«Februar», sagten beide gleichzeitig mit fester Stimme. Gewöhnlich machte Wagner eine so rasche und absolute Übereinstimmung misstrauisch, in diesem Fall war das unnötig. Seit Februar hatten sie sie nicht mehr gesehen, erklärte der Bruder noch einmal, und seine Schwester ergänzte nickend: Darüber hätten sie sich neulich erst unterhalten, auch gewissenhaft nachgedacht. Dann beharrte Eustach allerdings auf Anfang, seine Schwester auf Mitte des Monats, diesmal natürlich jeweils ohne bestätigendes Nicken.
Bevor die beiden diesen eklatanten Mangel an Übereinstimmung in ihrer gewöhnlichen Weitschweifigkeit zu klären versuchten, rief Wagner, das werde er schon selbst herausfinden, nun, da er dank ihrer Aufmerksamkeit und ihres löblichen
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