Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
vergleichbarem Maß wie Madam Augusta und die Herrmanns. Er vergaß das gerne, denn so musste er nicht befürchten, sie könnte ihm, seiner Frau und denen, die noch ihre gemeinsamen Freunde jenseits der großen Bürgerhäuser waren, verloren gehen.
Und dann machte er sich auf den Weg zum Haus des Seidenhändlers Pauli, so pflichtbewusst wie widerwillig. Wagner betrat ohne Zögern die übelsten Spelunken und die düstersten Ecken der Gängeviertel, an die Türen der Bürgerhäuser zu klopfen war ihm hingegen verhasst. Obwohl es inzwischen vorkam, dass er auch dort respektiert und zur Vordertür eingelassen wurde, behandelten ihn die meisten Bürger, und zwar nicht nur die wohlhabenden, kaum besser, als sei er selbst ein Delinquent oder ein böser Geist mit Unglück im Gepäck.
Er verband etwas mit dem Namen Pauli. Etwas Unangenehmes? Leider fiel ihm nicht ein, was es war.
Dafür wurde ihm plötzlich klar, dass er den beiden Alten blind vertraut hatte, vielleicht hatten sie nur eine besonders lebhafte Phantasie oder wollten ihre langweiligen Tage bunter und sich selbst wichtiger machen. Aus einem ihm unerfindlichen Grund glaubte er das nicht. Trotzdem war es leichtfertig gewesen. Aber eigentlich – eigentlich war das gar nicht schlecht, womöglich sogar nützlich.
Zur selben Zeit in Venedig
Magnus Vinstedt war wirklich schnell gewesen, geritten, als sei ihm der Teufel selbst auf den Fersen. Wie oft er das Pferd gewechselt hatte, wusste er nicht mehr. Sehr oft jedenfalls, immer wenn sich eine Gelegenheit ergeben hatte. Mehrfach war er glücklich genug gewesen, direkt vor Gewitter und Schneetreiben davonzupreschen, besonders am Brennerpass.
In Venedig angekommen, hatte er begriffen, welch ein Glück er gehabt hatte, dass er keiner der auf dem Festland immer häufiger auftauchenden Räuberbanden in die Hände gefallen war. Womöglich, so hatte er da gedacht, sei Friedrich Blanck ein Opfer dieser rapinatori geworden, denn auch Kutschen wurden überfallen und die Reisenden ausgeraubt, gerade wenn sie in Eile und deshalb auch nachts unterwegs waren. Womöglich war deshalb einer der Wechsel in falsche Hände geraten. Aber Blanck, der Mann, an dessen Fersen er sich heften, den er in diesem Labyrinth von Gassen, Kanälen, Höfen und toten Winkeln finden sollte, war zumindest in Venedig gewesen . Das war verbürgt.
Paulis Erster Schreiber war im Dezember mit einer beachtlichen Anzahl von Wechseln nach Venedig gereist, um Rohseide von guter Qualität auszusuchen und zu ordern und, falls sich die Möglichkeit ergebe, auch einen oder zwei geschickte Weber anzuwerben und mit nach Hamburg zu bringen. Magnus erinnerte sich, wie in der Herrenrunde an jenem Abend in Claes Herrmanns’ Rauchzimmer auch die Frage auftauchte, warum Monsieur Pauli seinen Schreiber überhaupt nach dem fernen Venedig schicke. Allein in Bergamo, dem zur Republik gehörenden Ort in den südlichen Alpen, werde inzwischen mehr Seide gewebt.
Monsieur Bocholt hatte zu bedenken gegeben, die beste Seide komme sowieso längst aus Frankreich, in Lyon webe man erlesene und wirklich komplizierte Muster wie nirgends sonst. Auch nicht in England, wohin der preußische König neuerdings angeblich sein Spione schicke, obwohl man annehmen sollte, mit all diesen Hugenotten in seinem Land habe er genug Leute, die sich darauf verstünden.
Pauli hatte höflich gelächelt, es wirkte nur ein ganz klein wenig überlegen, und erklärt, das stimme schon, aber teure Ware wie Seide verkaufe sich nicht allein mit der Ratio. Natürlich könne man einfach behaupten, die angebotenen Muster seien nach venezianischem Vorbild gewebt, die Fäden sogar dort produziert, gesponnen, gefärbt, es sei aber von Vorteil, wenn das auch stimme. Alle Welt träume von einem Aufenthalt in Venedig, die Damen ebenso wie die Herren, wer sich das nicht erlauben könne, ob aus Gründen der Zeit, des Geldes oder aus Furcht vor der so beschwerlichen wie gefahrvollen Reise, sei gerne bereit, gutes Geld für Seiden aus Venedig oder von venezianischen Webern gemachte Stoffe auszugeben. Nicht umsonst versuchten alle regierenden Fürsten, ganz besonders die große Maria Theresia in Wien, in ihren Reichen eigene Seidenindustrien einzuführen, dann bleibe das Geld für die teure Ware im Land. Sein Handel sei sein Hauptgeschäft, seine Manufaktur dagegen recht klein. Er lasse vor allem Samt machen, wenn er jedoch zwei geschickte italienische Weber bekomme, werde er zwei weitere Webstühle aufstellen. Es sei
Weitere Kostenlose Bücher