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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Ölgemäldes, einer Spukgeschichte. Doch dafür war diese seltsame Stadt bei all ihrer Unwirklichkeit zu real. Er hatte bedauert, dass er erst nach den turbulenten Monaten des Karnevals hier sein konnte, der – nur unterbrochen durch zwei kurze Weihnachtswochen – von Oktober bis Fastnacht gefeiert wurde. Dann war Venedig angeblich ein einziges Fest, wobei er sich nicht vorstellen konnte, dass eine ganze Stadt, in der so viele Menschen lebten, arbeiteten, mit Nahrung, Kleidung, überhaupt allem Besonderen und Alltäglichen versorgt werden mussten, beständig feiern konnte.
    Die Sache mit den Masken hingegen, traditionell aus weißem Satin oder nur als schwarze Larve für die Augenpartie zum langen Mantel aus schwarzem Taft, konnte er sich sehr gut vorstellen, sie boten ein enormes Maß an Freiheit. Ein Inkognito, das Unterschiede verwischte, Träume ebenso möglich machte wie Lug und Trug. Kein Wunder, dass sie außerhalb der Karnevalsmonate in der Öffentlichkeit verboten waren – und sich niemand daran hielt.
    Alle, ob arm oder reich, ob Hure, Fischhändler, Patrizierin, Notar oder Wäscherin, Bischof und Doge, angeblich sogar Nonnen, verließen in diesen Monaten zu jeder Tageszeit und Gelegenheit ihr Haus nur maskiert. Wenn die ganze Stadt bis in die Nacht ein einziger Trubel war, voller Feste, Zirkus und Akrobaten, Bälle, Regatten, Konzerte, Theater – überall Theater und Oper, Tierhatzen, und überall wurde gesungen, nirgends so viel und so schön wie in dieser Stadt. In den späten Nächten, deren kurze Stille wie ein verheißungsvolles Flüstern wirkte, schimmerte Fackelschein auf den Kanälen, in den Gärten, auf Dächern und versteckten Innenhöfen. Und zugleich ging das alltägliche Leben weiter, das musste es ja.
    Jedenfalls erzählte man sich all das im Norden von der Lagunenstadt, je nach Gesinnung mit Sehnsucht, Staunen oder Verachtung, nie gleichgültig. Magnus hätte schon lange gerne geprüft, ob das Legende oder Wahrheit war, inzwischen war er von Letzterem überzeugt.
    Die Stadt, so hieß es auch, huldige dem Vergnügen und erlebe tatsächlich ihren Niedergang. Im Hafen legten längst nicht mehr die Schiffe aus allen Häfen des Mittelmeers an wie in der großen Zeit der Republik Venedig, als sie Umschlagplatz für die Waren aus Orient und Okzident gewesen war. Das war endgültig vorbei. Die begehrten Reichtümer der Welt kamen nun aus den Ländern jenseits der Ozeane und machten Herren anderer Häfen reich. An diesen Molen lagen bescheidenere Schiffe, die zumeist nur Waren von der terra ferma brachten, dem zur Republik gehörenden überwiegend bäuerlichen Festland. Selbst das Handwerk verblasse, sagte man, sogar die Glasbläserei, aber die Künste, insbesondere die Malerei, die Bildhauerei und die Baukunst, blühten in diesen Jahrzehnten wie nie zuvor.
    Venedig mochte verarmen und als Ort politischer Macht und des weltweiten Handels bedeutungslos geworden sein. Trotzdem gab es noch immens reiche Familien, deren Pracht der Stadt nach wie vor Glanz verlieh. Ihr Mythos, der Ruf der schillernden Metropole auf engstem Raum in der weiten, von Inselchen gesprenkelten Lagune, als Hort der Künste und der Geselligkeit, natürlich auch des Glücksspiels und aller denkbarer Sünden, war höchst lebendig und real und zog Besucher aus aller Welt an.
    «Ihr träumt, mein Freund.» Eine breite, warme Hand legte sich auf Magnus’ Schulter. «Passt nur auf, dass Ihr nicht ein Opfer der Taschendiebe werdet, während Ihr die Schönheit dieser Inseln bewundert. Sie sind sehr fleißig hier, die Langfinger, und sehr geschickt. Nun, ich will nicht anklagen, in meiner Heimat ist es nicht besser. Genau besehen», er faltete die reich beringten Hände vor seinem ausladenden, in rosenholzfarbenen Samt gekleideten Körper und senkte sein Doppelkinn auf die mit einer Gemme gehaltenen Spitzenhalsbinde, «ja, genau besehen gibt es in meiner Heimat noch viel mehr arme Pisser, da wird natürlich auch mehr geklaut.»
    Mr.   Hobson war ein sehr reicher Mann, er hatte eine gute Erziehung genossen, aber er befleißigte sich keiner vornehmen Sprache. Als Engländer, pflegte er zu sagen, habe er alle Freiheiten. Dafür sei England berüchtigt. Er habe sie umso mehr, als er alles bezahlen könne, Gemälde, Marmorbüsten, Weiber, Flitterkram, Langusten, ebenso ein Entgelt für sein schlechtes Benehmen oder die Beleidigungen, auf die er manchmal unbändige Lust verspüre. Mit Geld lasse sich alles ausgleichen. Nur Duelle vermeide

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