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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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hatte dienernd zugestimmt, versichert, es sei ihm eine Ehre, und dabei ausgesehen, als habe er in eine Zitrone gebissen. Was Augusta wiederum zu einem zuckersüßen Lächeln Anlass gegeben hatte. Der Ökonom und seine Frau verrichteten ihre Arbeit gut, sie standen im Ruf absoluter Untadeligkeit. Die wöchentliche Abrechnung der Einnahmen wie der Ausgaben und die Vorlage der Bücher zur Kontrolle durch die Revisoren hatte nie Anlass zu Beanstandungen gegeben. Das jedenfalls hatte sie gehört, und es bestand kein Grund, zu zweifeln.
    Gleichwohl – Spender sollten spenden. Das war genug. Alles andere störte nur die Arbeit und den zum Wohl der Kinder strikt geordneten Tagesablauf. Je älter Augusta wurde, umso amüsanter fand sie es, strikt geordnete Abläufe in Unordnung zu bringen. Das wäre als Grund für ihren Besuch dann doch zu albern gewesen, sie war nur neugierig. Augusta hatte so viel Unterschiedliches über das Leben der Waisenkinder gehört, nun wollte sie es selbst sehen. Es würde flüchtig genug sein, aber besser als nichts.
    Als Molly darum bat, sie begleiten zu dürfen, hatte sie sich zunächst gewundert. «Warum?», hatte sie gefragt, und Molly hatte mit ihrem unbefangenen Kinderlächeln geantwortet: «Aus reiner Neugier, Madam Augusta. Unsere Konditorei ist nur wenige Häuser entfernt, ich habe oft gesehen, wenn die Kinder ausgeführt wurden, stets zwei und zwei in der langen Reihe, und sie haben mich immer gedauert. Sicher werden sie dort so versorgt, wie es nötig ist, aber es ist doch zugleich ein halbes Gefängnis, dieses Haus, findet Ihr nicht?»
    Ein paar Mal habe sie gesehen, wie eines oder auch mehrere Kinder aus einem Seitenfenster auf die Straße geklettert seien. Einmal sogar in der Nacht, als sie nicht habe schlafen können und aus dem Fenster ihrer Kammer gesehen habe. «Seltsam», hatte sie da gesagt, «erst jetzt fällt mir auf, dass ich nie welche gesehen habe, die auf dem gleichen Weg zurückgeklettert sind.»
    Ja, Augusta freute sich auf den morgigen Tag, und Mollys Begleitung würde angenehm sein. Der Schmerz über den Tod ihrer eigenen Kinder, sie nicht als Erwachsene und selbst als Eltern zu sehen, würde nie vergehen. Aber anders als in den ersten Jahren nach Thorbens und Svens Tod, konnte sie das Glück der Kinder anderer Leute nicht nur ertragen, sondern sich auch darüber freuen. Dass ihre eigenwillige Großnichte Sophie mit ihrem hinreißenden Kapitän und ihren Kindern jenseits des Ozeans in den amerikanischen Kolonien lebte, war nun eines ihrer wenigen echten Kümmernisse.
    Gleichzeitig wusste sie, dass Sophie dort glücklicher war, als sie hier an der Elbe je hätte werden können. Nicht nur, weil sie von jeher abenteuerlustig war und ihr zweiter Ehemann Jules Braniff selbst einer alten Witwe wie Augusta versonnene Seufzer entlocken konnte, vor allem weil eine Frau hier niemals respektiert und glücklich leben konnte, nachdem sie ihren ersten Mann verlassen hatte und umgehend mit einem anderen durchgebrannt war.
    Natürlich brauchte eine Gemeinschaft verbindliche Regeln und Sitten, Verbote und Strafen. Diese Gnadenlosigkeit jedoch, mit der verurteilt und ausgestoßen wurde, wer sich eine Handbreit über den begrenzenden Rand herrschender moralischer Gebote hinwegsetzte, erschien ihr altväterlich und häufiger bigott als moralisch gerecht.
    Es hieß zwar, dort drüben in den Kolonien gebärde sich die gute Gesellschaft – oder die, die sich dafür hielt – noch weitaus spröder als die hanseatische, aber Sophie und Jules Braniff hatten offenbar eine Nische gefunden, eine Region weiter im Süden, in der sie geachtet und inmitten befreundeter Familien leben konnten. Es war ja leicht dahergesagt, dass man sein eigenes Leben lebe und sich nicht um Klatsch und Zu- oder Abneigung der Nachbarn schere. Und sehr schwer getan.
    Sie trat ans Fenster ihres Salons und blickte hinaus in die beginnende Dämmerung. Sie erinnerte sich an Zeiten, da sie diese Stunde gefürchtet und gehasst hatte, wenn das Licht diffus wurde und die klaren Bilder in Schemen verwandelte, wenn die Dunkelheit lauerte und unaufhaltsam heranschlich. Heute mochte sie die sanfte Wehmut dieser Stunde und beobachtete gern, wie hinter den Fenstern der Nachbarhäuser das Licht der Kerzen und Lampen warm zu schimmern begann.
    Es war noch zu hell für die trauliche abendliche Beleuchtung, etwas anderes zog ihre Blicke an. Trotz der Fuhrwerke und Karren, Fußgänger und wenigen Reiter entdeckte sie auf der anderen

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