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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Wahrscheinlich nach dieser Mischung aus Mäusekot, nassem, altem Holz und Hühnerstall. Dass sich zumindest für einige Wochen Hühner hier eingenistet hatten, war nicht zu übersehen. Sie hatten die Rückenlehnen der an den Wänden stehenden Bänke als Sitzstangen benutzt, es würde eine Menge Arbeit machen, sie wieder sauber zu scheuern. Eine Menge Arbeit, überhaupt …
    Rosina gebot ihren vorauseilenden Gedanken und Phantasien Einhalt und versuchte den schon vor Jahrzehnten zu einem kleinen Theater umgebauten Dragonerstall nahe der Bastion Ulricus mit kühlen, sogar berechnenden Augen zu sehen. Vieler Arbeit würde es ganz sicher bedürfen. Und vielen Geldes. Wer da anders als kühl rechnete, war dumm. Vor allem, wenn man reichlich Zeit hatte, zu arbeiten, es jedoch an Geld mangelte.
    Andererseits war das kein Grund, gleich aufzugeben. Sie hatte schon manches geschafft, was andere, oft sogar sie selbst für unmöglich erachtet hatten. Hier spielte sie darüber hinaus mit dem Gedanken an die Verwirklichung eines Unternehmens, das alles, was sie in den vergangenen anderthalb Jahren gelebt hatte, infrage stellte. Über den Haufen warf? Über den Haufen. Ruck, zuck.
    «Nein», sagte sie laut und erschrak vor dem hohlen Klang ihrer Stimme in dem leeren, kaum mehr einem Komödienhaus gleichenden Raum. Nein, nicht alles. Aber was würde Anne sagen? Was Madam Augusta? Die ganze vornehme Familie Herrmanns? Oder Madam van Witten? Die einflussreiche Gattin des Weddesenators und Freundin der Herrmanns hatte viel dazu beigetragen, dass Rosina von der Hamburger Gesellschaft akzeptiert wurde. Nicht als ihresgleichen, doch halbwegs wohlmeinend als Randfigur, als Kuriosum.
    Mit dieser Akzeptanz musste es vorbei sein, wenn sie die wahnwitzige Idee, die sie seit der vergangenen schlaflosen Nacht verfolgte, in die Tat umsetzte. Vorbei mit den Einladungen zum Kaffeekränzchen der Damen oder zum Tee, vorbei mit dem freundlichen Geplauder, wenn man sich bei einer Promenade auf den Wällen oder einem Konzert begegnete. Mit dem Gefühl, dazuzugehören. Vorbei – und dann?
    Rosina drehte sich langsam einmal um die eigene Achse, ließ den Blick über die Wände und die Fenster wandern, prüfend und doch nicht aufmerksam genug, um zu sehen, wie sich die Gestalt, die sie schon geraume Zeit verstohlen durch das schmutzige Fenster beobachtet hatte, rasch hinunterduckte. Ihr Blick wanderte weiter zur Galerie über der Eingangstür, deren Brüstung Rudolf – Baumeister, Kulissenmaler und Feuerwerker bei der Becker’schen Komödiantengesellschaft – vor anderthalb Jahren solide erneuert hatte, schließlich über die Bühne. Auch die hatte Rudolf damals gründlich ausgebessert, sie war immer noch stabil. Was fehlte, war nur die Ausstattung: Kulissen und Lampen, ein bisschen Mobiliar und kleinere Requisiten, Kostüme natürlich, die waren das Allerteuerste. Aber die brachten die Komödianten mit, sie waren ihr kostbarster Besitz. Sie erinnerte sich, wie einmal eine der großen Gesellschaften ihre Kostüme versteigern musste, um den Prinzipal vor dem Schuldturm zu retten. Von dem Ertrag hätte man ein kleines Stadthaus kaufen können.
    Nun gut, wenn Helena und Jean mit ihren Leuten nicht kamen, auch keine andere Theatergesellschaft – vielleicht könnte sie mit Konzerten beginnen? Dazu brauchte man nur die Musiker, davon gab es genug in der Stadt, ihre eigene Stimme war immer noch gut, dazu ein oder zwei weitere Sängerinnen, ein Sänger. Ob das erlaubt war? Sie kannte sich nur mit den Bedingungen für Theateraufführungen aus. Monsieur Bach würde Rat wissen, der städtische Kantor gab oft Konzerte, und er und seine Gattin waren ihr stets freundlich begegnet. Ein Unternehmen, wie sie es sich nun vorstellte, konnte er keinesfalls als Konkurrenz empfinden, dazu war Monsieur Bach zu berühmt und sein virtuoses Klavierspiel unübertroffen, ob bei eigenen oder fremden Kompositionen.
    Es schlug schon das zweite Mal von St. Michaelis, was nicht nur hieß, dass der Wind von Südwest kam, sondern auch, dass sie nun schon zu lange hier war, nur um sich «ein wenig umzusehen». Und in all der Zeit hatte sie die Bühne nicht betreten, war nicht die fünf Stufen an der schmalen Seitentreppe hinaufgesprungen, um von dort den Blick ins Publikum und dann die Bretter selbst zu prüfen, zuerst mit behutsamen, vorsichtigen Tanzschritten, wenn sie hielten, mit stärkeren, bis zu den großen weiten Sprüngen, den Drehungen. Hatte nicht probiert, wie weit und

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