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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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zunächst sitzenden Dame zu übersehen. Es gab genug anderes, das die reine Augenlust bot, nämlich den gedeckten Tisch, an den er – in dieser Gesellschaft ein Niemand – als Hobsons Begleiter geladen war. Der hatte Magnus mit Otrantos geschmackssicherer Beratung aus seinem exzellent sortierten Kleiderzimmer ausstaffiert, damit er nicht mit einem Türöffner oder Gelehrten verwechselt werde. Wohl dreißig Personen waren um die Tafel versammelt. Was an verschiedenen Braten und Pasteten, Fischen, Gemüsen und Früchten auf dem Tisch stand, reichte leicht für die dreifache Menge, und es war, wie Hobson ihm zugeflüstert hatte, gewiss nicht der letzte Gang. Alles sah nicht nur herrlich aus, es schmeckte auch unglaublich gut.
    Bis heute hatte Magnus gedacht, die üppigen Tafeln der Hanseaten, noch mehr die der wohlhabenden Londoner, seien unübertrefflich, wenn man von königlichen absah. Dieses Haus war kein königliches, doch immerhin ein hochadeliges, wahrscheinlich lag es daran. Er begann zu verstehen, warum Hobson Taille und Hals verloren gegangen waren. Gleichzeitig empfand er einen gewissen Widerwillen gegen diese unweigerlich in Verschwendung mündende Pracht und Fülle – ein moralischer Anfall von sehr kurzer Dauer. Nicht zuletzt, weil auch die servierten Weine jegliche Genügsamkeit korrumpierten.
    Was für ein unwirkliches Leben, so konnte es nicht weitergehen. Das Venedig, das er durch Hobson kennenlernte, war nur ein kleiner Teil der realen Stadt. Dieser blendende Reichtum hatte seinen Reiz, die Genüsse waren wunderbar, aber schon jetzt, nach diesen wenigen Tagen, erschien ihm all das ermüdend, als eine schillernde Kulisse. Bis auf die allgegenwärtige Musik, die und den Gesang genoss er ohne Vorbehalt. Aber vielleicht war er doch nur ein braver kleiner Bürger, ein verkappter Puritaner.
    Er schätzte Hobson, seine Großzügigkeit, seinen Humor, seine Schrulligkeit, dennoch wollte er sich auf die Suche nach anderen Kreisen machen. Venedig galt auch als ein Zentrum des Buchdrucks, irgendwo mussten sie doch sein, die Gelehrten, die Stückeschreiber, Dichter, die weniger berühmten Maler, die künstlerischen Handwerker. Er stellte sich vor, in einem solchen Kreis am Meer zu sitzen, einen gerade gefangenen und über dem Feuer gebratenen Fisch zu essen, dazu einfachen säuerlichen Wein aus einem Tonkrug zu trinken, in einer Runde von Männern arm an Vermögen, reich an Ideen und Plänen und Träumen.
    Hobsons Palazzo war schön, wenn auch nicht annähernd so prachtvoll wie dieser, in dem er heute die Ehre hatte zu dinieren, aber er sehnte sich plötzlich nach einer Nacht unter dem Himmel, mit dem Mond als Beleuchtung, den Sternen und, ja, und Rosina neben ihm, ganz nah, um ihre Wärme zu spüren, ihren Herzschlag, ihren vertrauten Geruch zu atmen.
    «Ihr träumt schon wieder», hörte er Hobsons gut gelaunte Stimme, «ach, die Jugend! Dabei seid Ihr aus dieser so seligen wie quälenden Zeit längst heraus, es scheint nur aus der Sicht meiner vielen Jahre so. Ja, da träumten wir alle noch. Und jetzt? Träumt Ihr von den reizenden Damen hier? Ihr müsst nicht alle Nächte allein verbringen, mein Freund, auch nicht die Tage. Da lässt sich leicht was arrangieren, selbst wenn man sich in dieser Hinsicht so scheu gebärdet wie Ihr.»
    «Ihr haltet mich für scheu?»
    «Unbedingt. Geradezu jungfernhaft.»
    «Gut! Lassen wir es dabei.»
    Hobson klopfte ihm tröstend auf die Schulter, dann widmete er sich schon genüsslich schmatzend der Platte mit dem gefüllten Fasan, von der ein Lakai ihm just anbot.
    Magnus hörte auf die Stimmen, hier war eine überwiegend venezianische Gesellschaft versammelt, außer den italienischen waren neben Hobsons englischen sonst nur einige französische Sätze zu hören. Die Musik machte gerade eine Pause, was offenbar niemand störte. Der Raum war voller schwerer Gerüche von den Speisen und süßen Parfüms. Magnus’ Blick wanderte über die Gemälde zu den hohen Fenstern. Nach dem erstaunlich milden Tag war die Nacht wieder kalt, trotzdem waren sie zu dem von hohen Hecken gesäumten Garten geöffnet. Im Mai würde es nach Flieder duften, im Sommer nach Rosen und Lavendel. Was sicher von Vorteil war.
    Als er heute bis zur beginnenden Dunkelheit durch die Stadt gelaufen war, wie stets auf der Suche nach einer bestimmten Gasse oder Brücke, hatte er plötzlich nicht mehr den Zauber, sondern den Geruch dieser übervölkerten Stadt wahrgenommen, von brackigem, zugleich als Kloake

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