Die Schwestern von Sherwood: Roman
Es war schrecklich gewesen. Ihre Schwester hatte verzweifelt geweint und immer wieder lautlos ihren Namen gerufen. Cathleen! Hilf mir! Bitte …
Sie schauderte. Es war nur ein Traum, versuchte sie sich zu beruhigen, doch ihre Unruhe blieb. Seit einigen Tagen war sie nun schon in Paris, und sie vermisste ihre Schwester.
Seufzend ging sie zu dem kleinen Tisch, goss sich aus einer Karaffe ein Glas Wasser ein und trank einen Schluck. Ihre Mutter hatte auf der Reise bestanden: »Es wird dir bestimmt guttun, ein paar Tage in einer anderen Umgebung zu verbringen und auszuspannen, bevor eure Verlobung bekannt gegeben wird.«
Sie sollte sich ein paar exklusive Kleider und Handschuhe anfertigen lassen, französisches Parfum kaufen, die Sehenswürdigkeiten in der Stadt anschauen und in die Oper gehen.
»Aber das kann ich doch auch alles in London«, hatte Cathleen erwidert, die von einer inneren Unruhe erfüllt war.
Doch ihre Mutter hatte nicht mit sich reden lassen. »Wenn du Edward heiratest, wirst du auch am Hof verkehren. Da musst du doch einmal in Paris gewesen sein«, erklärte sie, und Miss Carrington, die sonst selten ihrer Meinung war, hatte sie in diesem Punkt unterstützt. Eine solche Reise würde zur Bildung in den besseren Kreisen dazugehören.
Die Gouvernante sollte sie auch begleiten, und so war Cathleen schließlich mit ihr nach Paris gereist. Ohne Amalia. Auf die Frage, ob ihre Schwester nicht auch mitkommen könne, hatte ihre Mutter ihr nur einen kühlen Blick zugeworfen. Seit dem Vorfall war die ohnehin schon schwierige Beziehung zwischen den beiden noch angespannter geworden.
Gedankenverloren strichen Cathleens Finger über das Glas in ihren Händen. Sie machte sich Sorgen um Amalia. Selbst ihr gegenüber war die Schwester zurückhaltend und reserviert geworden. Ihr Verhältnis hatte die selbstverständliche Offenheit und Nähe, die es immer zwischen ihnen gegeben hatte, verloren, und Cathleen begriff nicht, was der Grund dafür war. In den Tagen in Paris hatte sie oft darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass Amalia irgendetwas vor ihr verbarg. Sie erinnerte sich an ihr verändertes Verhalten und machte sich Vorwürfe, dass sie mit ihren Fragen bei ihr nicht hartnäckiger gewesen war.
Grübelnd stellte Cathleen das Glas ab und schlüpfte zurück ins Bett. Sie schlief nur unruhig wieder ein.
Die Gedanken um Amalia beschäftigten sie auch noch am nächsten Morgen. Sie saß mit der Gouvernante in dem eleganten Wintergarten des Hotels und erzählte ihr beim Frühstück von ihrem Traum.
Miss Carrington blickte von ihrer Zeitung hoch. Ein sanftes Lächeln glitt über ihr mit den Jahren gealtertes Gesicht. »Nun, Sie und Miss Amalia haben immer ein sehr besonderes Verhältnis gehabt, und wahrscheinlich fehlt sie Ihnen. Deshalb haben Sie von ihr geträumt.«
Cathleen rührte nachdenklich ein zweites Stück Zucker in ihren Kaffee, den man in Paris statt Tee am Morgen trank. Sie konnte sich an den bitteren Geschmack jedoch nicht recht gewöhnen.
»Ja, vielleicht. Ich mache mir wirklich Sorgen um sie. Was wird mit ihr, wenn ich heirate?«
Die Gouvernante schwieg. »Das ist der Lauf der Dinge, Miss Cathleen, und sollte Sie nicht besorgen. Sie werden einander trotzdem verbunden bleiben.« Doch ihre Worte klangen nicht überzeugend.
»Aber können Sie sich vorstellen, was für ein Leben Amalia allein bei meinen Eltern führen wird? Ich werde fort sein, und Sie werden uns dann auch verlassen.« Die letzten Worte hatte Cathleen beinahe vorwurfsvoll hervorgestoßen.
Miss Carrington lächelte sanft. »Nun ja, ich werde nicht mehr gebraucht. Sie sind beide erwachsen, und Ihre Schwester und Sie, Sie können sich doch trotzdem oft gegenseitig besuchen.«
Cathleen nickte. Das hatte sie sich auch gesagt, aber trotzdem würde es anders sein. Sie war plötzlich froh, dass sie heute abreisten. Sie würden am Nachmittag den Zug nach Calais nehmen, um von dort mit dem Schiff nach England überzusetzen. Morgen Mittag würde sie wieder zu Hause sein, und dann musste sie mit Amalia reden.
Miss Carrington hatte sich wieder in ihre Zeitung vertieft. »Mein Gott«, sagte sie plötzlich. »In Südengland hat es, während wir weg waren, ein furchtbares Unwetter gegeben! Vor allem in Cornwall und Devon …«
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E s war ein matter goldener Ring mit einem Diamanten, der in der Form eines Tropfens geschliffen war. Funkelnd brach sich das Licht in seinen Facetten. Er war wie gemacht für Amalia. Ein Lächeln
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