Die Schwestern von Sherwood: Roman
ausgemacht, ihre Treffen bei schlechten Witterungsverhältnissen auf den nächsten Tag zu verschieben. Einmal hatte sie der Regen tatsächlich dazu gezwungen, und Amalia war auch nicht gekommen. Damals war das Wetter längst nicht so gefährlich gewesen wie bei dem jüngsten Sturm. Warum hätte sie sich dieses Mal also anders verhalten sollen? Vielleicht war sie gar nicht draußen im Moor gewesen, sondern hatte aus irgendeinem anderen Grund das Haus verlassen? Vielleicht würde sie einfach wieder auftauchen … Doch sie hatten ihren Umhang und ihren Schuh gefunden . Ein Strudel der Angst und des Schmerzes riss Edward erneut mit sich. Ein Leben ohne sie schien ihm nicht vorstellbar, und er hatte das Gefühl, eine schwarze Welle würde auf ihn zurollen und ihn mit ihrer Düsternis für immer unter sich begraben.
»Mein Gott, Edward. Es ist schrecklich!«, stieß seine Mutter hervor. »Die Sherwoods sind natürlich sehr verzweifelt. Cathleen wird es auch gerade erst erfahren haben, sie wurde ja erst heute Mittag wieder aus Paris zurückerwartet.« Lady Hampton drückte sich das Taschentuch gegen die Augen, bevor sie das spitzenverzierte Tüchlein sinken ließ. »Du hast doch nicht mit ihr gesprochen, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, aber das werde ich jetzt tun«, erwiderte er. Er hätte nicht nach London reisen dürfen und Cathleen nicht nach Paris, ohne dass sie miteinander gesprochen und er ihr alles gesagt hatte.
Seine Mutter war von ihrem Stuhl hochgefahren. »Edward! Das kannst du nicht tun. Ich bitte dich! Denk an deine Familie, an unseren Namen. Wenn Amalia etwas zugestoßen ist, dann musst du Cathleen heiraten!«
Er riss sich von ihr los. »Wie kannst du so etwas sagen, jetzt, in dieser Situation? Wie kannst du überhaupt daran denken?«, stieß er kalt hervor und stürmte aus dem Salon.
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E r wartete nicht auf die Kutsche, sondern nahm erneut sein Pferd. Unbarmherzig trieb er es an. Er musste Cathleen sagen, dass er sie nicht heiraten konnte, dass sie nicht die Frau war, mit der er sein Leben verbringen würde. Er musste das Band zu ihr unwiderruflich zerschneiden. Das schuldete er Amalia und sich. Er, der immer über den Aberglauben der Menschen gespottet hatte, hatte plötzlich das Gefühl, das Schicksal besänftigen zu müssen. Als würde man ihn prüfen wollen.
Nach der Angst und dem Schmerz keimte plötzlich Entschlossenheit in ihm auf und ein absurder Funke Hoffnung. Er weigerte sich zu glauben, dass Amalia wirklich ein Unglück zugestoßen war. Es musste eine andere Erklärung für den Fund des Umhangs und des Schuhs geben. Morgen würde Amalia wieder in dem Cottage auftauchen und die Arme um ihn schlingen …
Wie im Fieber ritt er durch die Moorlandschaft, die ihm noch nie so trostlos vorgekommen war. Als er Sherwood erreichte, waren er und das Pferd schweißgebadet.
Der Butler blickte ihn überrascht an, als er vor ihm auf der Schwelle stand. »Ist Miss Sherwood, Miss Cathleen Sherwood zugegen? Ich muss sie sprechen. Sofort.«
Der Butler nickte. »Ich werde ihr Bescheid geben lassen, Sir.«
Cathleen empfing ihn allein im Salon. In einem schlichten dunklen Kleid stand sie am Fenster und hatte ihm den Rücken zugewandt. Als sie seine Schritte hörte, drehte sie sich um. Ihr Anblick erschreckte Edward so sehr, dass er für einen Augenblick aus seiner eigenen Betäubung gerissen wurde. Cathleens Gesicht war in einer Weise von Kummer und Trauer gezeichnet, dass er sie beinahe nicht wiedererkannte. Die junge Frau, der er auf Bällen und Festen begegnet war, hatte sich durch ihre strahlende Lebensfreude ausgezeichnet, ihren Charme und ihre jugendliche Unbedarftheit, die immer an der Grenze zur Oberflächlichkeit gelegen hatten. All das schien sie mit einem Mal wie überflüssigen Ballast abgeworfen zu haben. Darunter war eine andere Person zum Vorschein gekommen – jemand, der einen anderen Menschen so sehr liebte, dass sein Verlust ihn fast umbrachte, und erst in diesem Moment begriff er, wie viel Amalia ihr wirklich bedeutet hatte. Die Erkenntnis erschütterte ihn.
»Edward!« Aus ihren geröteten Augen liefen Tränen, als sie ihn anblickte.
»Ich habe es von meiner Mutter gehört. Cathleen, ich bin gekommen …« Er suchte nach den richtigen Worten, doch bevor er weitersprechen konnte, unterbrach sie ihn.
»Nein, Edward, bitte erlaube mir, zuerst zu sprechen. Ich muss mit dir reden und bin dankbar, dass du gekommen bist.« Sie versuchte, sich zu sammeln, und wischte sich die
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