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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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St. Mary’s Home verständigten. Sie waren komplexer und vielfältiger als die, die sie mit Cathleen verwendet hatte. Die Gebärdensprache war eine Sprache, die es schon lange gab, erklärte er ihr. Schon immer hätten sich die Tauben untereinander so verständigt. Amalia erfuhr nicht nur, dass es eine Menge Unterschiede gab, je nachdem, aus welcher Gegend jemand stammte, sondern auch, dass in anderen Ländern auch andere Gebärdensprachen verwandt wurden. Ihr wurde bewusst, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben unter anderen Tauben war.
    Wenn es an allem Schrecklichen etwas Gutes gab, dann die Erkenntnis, dass sie mit ihrem Schicksal nicht alleine war, dass es viele andere Menschen gab, die, genau wie sie, nicht hören konnten. Schnell merkte sie, wie ihre Verständigung mit Gordon und den anderen fließender wurde. Hungrig danach, sich auszutauschen, sog sie die Gebärden für neue Wörter und Begriffe in sich auf und hatte das Gefühl, dass sich auf einmal etwas in ihr entfaltete und befreite, als hätte sie eine Barriere durchbrochen. Da das Buchstabieren mit dem Fingeralphabet viel Zeit kostete, hatten sich die Tauben untereinander sogar eigene Gebärdennamen gegeben. Sie bezogen sich meistens auf charakteristische Besonderheiten der Person. Gordons Name etwa bedeutete so viel wie geteiltes Gesicht. Zu ihrer Überraschung erfuhr Amalia, dass man auch ihr einen Namen gegeben hatte – er entsprach dem Zeichen für Flügel. Weil du von Weitem mit deinem Haar an einen Engel erinnerst , gab ihr Gordon zu verstehen, und sie musste lächeln.
    Wenn sie den demütigenden Unterricht von Mr Beans über sich ergehen ließ und die Lautreihen immer und immer wiederholte, erfüllte es sie mit stiller Genugtuung, dass die Welt, die der Lehrer und Dr. Graham zu beherrschen und kontrollieren glaubten, ständig in stiller Rebellion durchbrochen wurde.
    Warum willst du eigentlich unbedingt von hier fliehen? , fragte Gordon sie eines Tages. Sie spazierten mit einigen anderen draußen durch den Park. Ein strenger Wind strich ihnen um die Beine. Es war kalt geworden – der Winter hielt Einzug. Ihr Blick glitt zu dem kleinen Teich vor ihnen, auf dem ein paar Enten schwammen. Eine von ihnen erhob sich in die Lüfte, und Amalias Augen folgten ihrem Umriss, bis sie über den Wipfeln der Bäume hinter den hohen Mauern verschwand. Sie wünschte, sie hätte es ihr gleichtun können, und dachte an das Dartmoor – wie sehr ihr die Weite der Natur fehlte!
    Sehnst du dich nicht danach, frei zu sein? , entgegnete sie statt einer Antwort.
    Ein leichtes Lächeln glitt über sein Gesicht. Nein, nicht mehr. Ich war ein Jahr draußen, erzählte er ihr dann. Verblüfft schaute sie ihn an.
    Als ich einundzwanzig war. Meine Familie war einverstanden.
    Du bist zurückgekommen?
    Er nickte. Die Freiheit, die ich mir wünsche, gibt es für mich nicht – auch nicht dort draußen. Ich spreche zwar, aber es klingt nicht so wie bei jemandem, der hören kann, und wenn die Menschen mich sehen, tut es sein Übriges dazu …
    Amalia verstand, was er meinte. Auch sie hatte die Menschen gemieden, weil sie ihre Reaktionen fürchtete und weil sie zu oft erlebt hatte, dass man glaubte, ihre Gehörlosigkeit sei ein Zeichen für eine geistige Zurückgebliebenheit. Nur mit Edward war es von Anfang an anders gewesen. Sie verspürte unwillkürlich einen schmerzhaften Stich, als sie sich an ihre ersten Begegnungen erinnerte.
    Einer der Pfleger kam ihnen entgegen, und Gordon und sie verhielten sich beide unauffällig, bis er vorbeigegangen war.
    Du hast meine Frage noch nicht beantwortet , wandte sich Gordon dann erneut an sie. Warum willst du unbedingt von hier fort?
    Sie zögerte. Es gibt einen Mann, den ich liebe. Wir wollten heiraten. Er weiß nicht, dass man mich hierhergebracht hat.
    Er blickte sie nachdenklich an und bewegte mit der ihm eigenen Ruhe die Hände. Bist du sicher, dass er es nicht weiß?
    Ja , erwiderte sie mit unerwartet heftiger Gestik und Mimik. Doch es schien ihr, als erahne Gordon ihre geheimsten Befürchtungen. In den ersten Tagen hier war sie sich sicher gewesen, dass Edward sie finden würde. Bei jeder Kutsche und jedem Reiter, die im Hof ankamen, war sie zum Fenster gerannt. Doch nun, da die Zeit verstrich und aus Tagen Wochen wurden, fühlte sie eine zunehmende Unsicherheit. Was, wenn sie sich nicht nur in ihren Eltern, sondern auch in ihrer Schwester und Edward getäuscht hatte? Woher wusste sie, ob sie überhaupt noch jemandem trauen

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