Die Schwestern von Sherwood: Roman
kein Zufall gewesen, dass er gerade in diesem Augenblick hereingekommen war.
Verärgert blickte der Lehrer ihn an. »Kannst du nicht auf die Uhr schauen. Es ist zu früh!«
Doch die gefährliche Spannung zwischen ihnen war gebrochen. Mr Beans nickte ihr knapp zu und erhob sich von seinem Stuhl. »Wir setzen unser Gespräch morgen fort, Amalia.«
Eilig floh sie aus dem Raum.
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Hampton, Winter 1895
D ie Ungeduld der Gläubiger erlaubte keinen Aufschub mehr. Sie hatten sich deshalb gegen ein großes Fest zur Vermählung entschieden, das Monate im Voraus hätte geplant werden müssen. Das familiäre Unglück der Sherwoods rechtfertigte diese Entscheidung auch der Außenwelt gegenüber. Edward sah seiner Mutter und seinen Schwestern an, wie froh sie über diese Entscheidung waren. Es ersparte ihnen, sich offiziell an der Seite der Sherwoods der Gesellschaft präsentieren zu müssen.
Der Vertrag für die Hochzeit sah vor, dass John Sherwood mit dem Tag der Vermählung sämtliche Verpflichtungen der Hamptons übernahm und Cathleen darüber hinaus eine Mitgift erhielt. Es war ein überaus großzügiger Kontrakt, und es verwunderte Edward noch immer, für welchen schwindelerregenden Preis die Sherwoods bereit waren, sich ihren Einstieg in die höheren Kreise zu erkaufen. Die treibende Kraft dahinter war Mrs Sherwood, wie er schon lange erkannt hatte. Ihr Mann war ein gerissener Geschäftsmann, jemand, der fasziniert davon war, aus viel Geld noch mehr Geld zu machen, doch er war nicht in der gleichen Weise vom Ehrgeiz getrieben wie sie. Erst recht nicht nach dem Tod seiner Tochter. Er trank – mehr als gut für ihn war. Edward hatte von Charles gehört, dass er in dem Herrenklub in Tavistock unangenehm aufgefallen war, aber er konnte es John Sherwood nicht verübeln. Im Grunde empfand er sogar Sympathie dafür, dass das Unglück seiner Tochter nicht ebenso spurlos an ihm vorüberging wie an Mrs Sherwood.
Es war Edward nicht leichtgefallen, sich zu der Hochzeit mit Cathleen durchzuringen. Doch er hatte nicht das Recht, seine Familie in den Ruin zu stürzen. Die Hoffnung, dass Amalia noch lebte, hatte er aufgegeben. Seit dem Tag, als Miss Carrington ihm die Briefe brachte, hatte er aufgehört, nach ihr zu suchen. Geblieben war nichts als eine innere Leere. Doch wenn er schon heiraten musste, erschien es ihm besser und einfacher, Cathleen zur Gemahlin zu nehmen, mit der ihn zumindest die Trauer und Erinnerung an Amalia einte, als irgendeine andere Frau.
Vielleicht konnte mit der Zeit aus der Freundschaft, die sie inzwischen verband, mehr werden. Wenn nicht, stellte sie ein solides Fundament für ein gemeinsames Leben dar. Und das war mehr, als die meisten Ehen seiner Freunde aufweisen konnten.
Mit diesem Gedanken versuchte er sich auch zu beruhigen, als er Tage später mit Cathleen vor dem Altar stand. Die wenigen Gäste schauten mit bewundernden Blicken zu der Braut. Sie war schön, musste Edward zugeben. Ihre schmale Gestalt in dem hellen Kleid aus fließendem Stoff, ihr hübsches Gesicht, auf dem sich eine Mischung aus Melancholie, die von der Trauer um ihre Schwester herrührte, und der Aufregung einer Braut spiegelte – jeder wäre von ihr berührt gewesen. Als sie den Blick Hilfe suchend zu ihm wandte und er ihren Arm nahm, wünschte und hoffte er für einen Augenblick inbrünstig, dass vielleicht doch alles gut werden würde.
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N och in derselben Nacht wusste Edward, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war. Sein Kopf schmerzte von dem vielen Wein. Schlafend lag Cathleens schmale Gestalt hinter ihm im Bett, und er stand im Halbdunkel am Fenster und starrte nach draußen. Es war nicht ihre Schuld. Sie konnte nicht wissen, dass der Schatten ihrer Schwester mit in diese Ehe Einzug hielt. Er selbst hatte es nicht wahrhaben wollen. Noch in der Kirche war er überzeugt gewesen, dass es alles richtig war, was er tat, und später, bei den Feierlichkeiten, hatte er jeden aufkeimenden Zweifel mit einem neuen Glas Wein ertränkt. Doch schließlich kam der Zeitpunkt, dass er sich mit der Braut zurückziehen musste. Die Kammerzofe hatte Cathleen für die Nacht fertig gemacht, und ihm war – während er wartete und weitertrank – zum ersten Mal bewusst geworden, dass sie nun tatsächlich verheiratet waren und er seinen Pflichten als Ehemann nachkommen musste. Er hatte versucht, die Erinnerung an Amalia zu verdrängen – daran, wie er sie das letzte Mal in dem Cottage geliebt hatte.
Der Alkohol und die
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