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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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konnte?
    Auch wenn es ihn nicht gäbe, ich würde mir hier immer wie eine Gefangene vorkommen , gab sie Gordon schließlich zur Antwort.
    Er nickte. Wenn du von hier fortwillst, musst du warten, bis der Winter vorbei und es draußen etwas wärmer ist , nahm er das Thema ihrer Flucht wieder auf. Du bist noch nicht volljährig, und das Heim hat die Vormundschaft über dich. Solltest du verschwinden, wird man dich überall suchen. Sie werden Spürhunde einsetzen …
    Amalia erschauerte, denn sein ernster Gesichtsausdruck ließ sie ahnen, dass er in den Jahren, die er hier war, den einen oder anderen gescheiterten Fluchtversuch mitbekommen hatte.
    Du wirst dich verstecken und sogar eine Nacht draußen im Freien schlafen müssen, fuhr er in seinen Bewegungen fort. Es gibt in London eine Organisation. Sie hilft Tauben. Dort kannst du einige Zeit untertauchen und von da aus Kontakt zu deinem Geliebten oder Verlobten aufnehmen. Er blickte sie ernst an. Du solltest dir sicher sein, dass er das wert ist. Wenn es schiefgeht, wird man wahrscheinlich versuchen, dich für unzurechnungsfähig zu erklären.
    Amalia fröstelte, denn sie wusste, was das bedeuten konnte. Jeder der Insassen hatte Angst vor der geschlossenen Abteilung. Manchmal konnte man von dort Schreie hören.
    Sie musste ihre Flucht sorgfältig planen, sie würde einen Zeitpunkt wählen müssen, an dem es nicht sofort auffiel, wenn sie weg war, sodass sie einen Vorsprung hatte.
    Als sie Gordon ihre Überlegungen mitteilte, nickte er. Es gibt im Frühling einen Tag, an dem regelmäßig ein Zirkus hier gastiert, und auch einen Besuchertag, an dem es Tradition ist, dass die Familien ihre Angehörigen in St. Mary’s Home besuchen können. Dann ist viel Betrieb, und die Chancen sind größer, dass deine Flucht länger unbemerkt bleibt.
    Bis zum Frühling! Das waren noch etliche Wochen. Doch dann dachte sie an Edward. Sie würde es schaffen und durchhalten! Auch wenn sie sich fragte, wie sie den Unterricht bei Mr Beans so lange ertragen sollte. Mit jeder Stunde nahm der Lehrer sich ihr gegenüber größere Vertraulichkeiten heraus. Sie hatte mitbekommen, dass er sie auch außerhalb des Unterrichts ständig beobachtete. Eine sich steigernde Gier lag in seinen Augen. Auch Gordon hatte es bemerkt. Er warnte sie erneut. Nimm dich vor ihm in Acht. Er hat sich in den letzten Jahren schon an zwei Mädchen vergangen.
    Mit Grauen schaute Amalia ihn an. Und niemand hat etwas getan?
    Das Brandmal in seinem Gesicht verdunkelte sich, als Gordon mit finsterer Miene den Kopf schüttelte. Er geht geschickt vor. Es geschah jedes Mal außerhalb seines Unterrichts, und es gab keine Zeugen. Keiner hat den Mädchen geglaubt. Sie konnten beide nicht gut sprechen … Seine Handbewegungen und seine Mimik brachen ab, doch er brauchte nicht mehr zu erklären. Amalia lief ein Schauer über den Rücken.
    Achte darauf, dass du in den langen Fluren und auf den Treppen nicht allein unterwegs bist , bedeutete ihr Gordon, und sie befolgte seinen Rat. In einer der nächsten Unterrichtsstunden nahm Mr Beans bei einer Lautübung wie zur Bestätigung ihre Hand und presste sie gegen seinen Kehlkopf. »Hier, spürst du, wie es vibriert?«
    Dann legte er seine feuchte Hand auf ihren Hals. »Aaaa, eeee, iiiii, oooo, uuuuu …!«
    Sie versuchte, seinem Blick auszuweichen, während sie sich bemühte, die Laute nachzuahmen, doch plötzlich merkte sie, wie seine Hand von ihrem Hals weiter nach unten zu ihrem Dekolleté glitt. Sie fuhr vor ihm zurück, soweit es ihr auf dem Hocker möglich war.
    Er lächelte dunkel verschlagen und bewegte die Lippen. »Machst du gern die Männer verrückt, Amalia?«
    Sie starrte ihn an.
    Er neigte sich noch ein Stückchen näher zu ihr – sie konnte seinen sauren Atem auf ihrem Gesicht spüren. »Ich habe dich beobachtet! Diesem armen Tropf mit dem verbrannten Gesicht hast du schon völlig den Kopf verdreht, was?«
    Er griff eine Strähne ihres Haars und ließ sie durch seine Finger gleiten, diesen hungrigen Ausdruck in seinem Gesicht, den sie schon so oft gesehen hatte. Furcht ergriff sie, und sie fragte sich gerade, was sie nur machen sollte, als sie eine Vibration unter ihren Füßen spürte und Mr Beans abrupt von ihr abließ.
    Hinter ihnen war jemand in den Raum getreten. Es war einer der Tauben, ein Junge von siebzehn Jahren, der nach ihr Unterricht hatte. Jake war sein Name, erinnerte sie sich. Sie wandte dankbar den Kopf in seine Richtung und hatte kurz das Gefühl, es sei

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