Die Schwestern von Sherwood: Roman
als sei das ganz allein das Ergebnis ihrer Arbeit.
»Danke, Lesley«, sagte sie höflich. Im Gegensatz zu ihr konnte Cathleen sich jedoch nicht an ihrem eigenen Anblick erfreuen. Sie griff nach ihrer Stola, um nach unten zum Frühstück zu gehen. War sie undankbar? Sie war schön, reich und hatte den begehrenswertesten Junggesellen aus Devon zum Mann bekommen. Doch der Verlust von Amalia hatte sie erkennen lassen, wie wenig ihr das alles bedeutete. Ihre Schwester fehlte ihr schrecklich. Sie war die Einzige gewesen, die immer gewusst hatte, was in ihr vorging, und sie verstand, denn sie hatte sich nie vom äußeren Schein blenden lassen. Amalia hatte die ungewöhnliche Fähigkeit besessen, allem Substanz zu geben, und mit ihrem Tod kam es Cathleen so vor, als ob sie selbst jeden inneren Halt verloren hätte. Sie spürte in sich eine tiefe Melancholie, die nicht weichen wollte – und dieses Gefühl hing nicht allein mit der Trauer um ihre Schwester zusammen. Etwas in ihrem Leben stimmte nicht. Vielleicht würde alles anders werden, wenn sie endlich ein Kind erwartete, ging es ihr durch den Kopf. Leider blieb dieser von ihr so erhoffte Zustand noch immer aus.
Ihre Gedanken kehrten unwillkürlich zu der letzten Nacht zurück. Edward war bei ihr gewesen. Regelmäßig zweimal in der Woche suchte er sie auf. Sonst schliefen sie in getrennten Schlafzimmern. Sie hatten sich geliebt, und sie hatte sicherlich keinen Anlass, sich zu beschweren. Edward war aufmerksam und zärtlich zu ihr, und dennoch wurde sie nie das Gefühl los, dass der körperliche Teil ihrer Ehe für ihn nicht mehr als reine Pflichterfüllung war. Er war stets kontrolliert und verlor nie die Beherrschung. Manchmal wünschte Cathleen sich fast, er würde über sie herfallen, doch er blieb so, wie sie ihn auch kennengelernt hatte, immer ganz der Gentleman. Es war weder wild noch leidenschaftlich zwischen ihnen, und sie hatte inzwischen begriffen, dass es das vermutlich auch nie sein würde. Diese Erkenntnis deprimierte sie. Beinahe mit Neid beobachtete sie gelegentlich, wie ihre Freundin Lucy, die vor wenigen Wochen ebenfalls geheiratet hatte, mit leuchtenden Augen zu ihrem Angetrauten schaute, der ihr wiederum derart glutvolle Blicke zurückwarf, dass Cathleen allein beim Zusehen errötete.
Während sie den langen Flur entlanglief, den die Gemälde der Ahnen von Hampton zierten, fragte sie sich, ob sie sich derart getäuscht haben konnte. Edward hatte sie wegen des Geldes geheiratet, das wusste sie. Im Gegenzug hatte ihre Familie gesellschaftliche Anerkennung und sie selbst einen Titel bekommen, der ihrer Mutter noch immer mehr bedeutete als ihr selbst. Dennoch hatte Cathleen geglaubt, dass sie und Edward mehr verband. In den Wochen, nachdem Amalia im Moor verunglückt und er regelmäßig zu ihr gekommen war, um ihr Trost zu spenden, hatte sie gedacht, er würde doch etwas für sie empfinden. Nun aber schien es ihr fast, als hätte es in jener Zeit eine größere Nähe und Verbundenheit zwischen ihnen gegeben als jetzt in ihrer Ehe. Sie wünschte, sie hätte mit irgendjemandem darüber reden können. Erneut dachte sie voller Schmerz an ihre Schwester, mit der sie sich über solche Sachen immer ausgetauscht hatte.
Cathleen versuchte, die dunklen Gedanken aus ihrem Kopf zu verdrängen, und betrat das Speisezimmer, in dem ihre Schwiegermutter noch an dem großen, ovalen Tisch saß. Edward war bereits unterwegs. Das Frühstück war die einzige freie Mahlzeit auf Hampton – jedes Familienmitglied nahm sie ein, wann es wollte. Auf einem Sideboard standen frisch gebackene Brötchen, Toast, Eier, diverse kalte Aufschnitte, Obst und Küchlein bereit.
»Guten Morgen«, sagte Cathleen. Lady Hampton hatte ihr angeboten, sie Mutter zu nennen, aber sie brachte diese Anrede nur schwer über die Lippen.
Edwards Mutter schenkte ihrer Schwiegertochter ein freundliches Lächeln. »Hast du gut geschlafen?«
»Ja, danke.« Ihre Dialoge waren stets etwas zäh, aber sie bemühten sich beide. Rebecca, die ältere von Edwards beiden Schwestern, weilte zurzeit glücklicherweise in London, und Emily, die Cathleen von den Hampton-Frauen die liebste war, schien noch oben zu sein.
Ein Diener schenkte ihr frischen Tee ein, und sie breitete gerade die Serviette auf ihrem Schoß aus, als der Butler mit einem Umschlag in das Speisezimmer kam.
»Verzeihung, das wurde gerade von einem Boten aus Sherwood für Sie abgegeben, Mylady.«
Überrascht nahm Cathleen das Schreiben entgegen.
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