Die Schwestern von Sherwood: Roman
seine häufige Anwesenheit hier rechtfertigten. Von Zeit zu Zeit fuhr er für einige Tage nach Devon. Wenn er zurückkehrte, war er ernst und nachdenklich – und liebte sie mit noch mehr Leidenschaft als zuvor. Nie hätte Amalia geglaubt, dass man sich so glücklich und schuldig zugleich fühlen konnte.
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Sherwood, Sommer 1896
E dward hatte sich verändert. Es war Cathleen schon seit einer ganzen Weile aufgefallen. Er wirkte gelöster und entspannt, beinahe wie befreit. Nach dem Tod ihres Vaters waren sie sich etwas nähergekommen, doch nun war er die meiste Zeit unterwegs, um sich um das Erbe ihres Vaters zu kümmern und auch, um an den Parlamentssitzungen teilzunehmen.
Cathleen hatte überlegt, ihn nach London zu begleiten. Sie hätte es gern getan, doch Edward hatte ihren Vorschlag freundlich abgelehnt.
»Ich habe so viele Termine, mir wird keine Zeit bleiben, mich um dich zu kümmern und dich bei Hof vorzustellen. Jeder wird nach dem Trauerfall dafür Verständnis haben, dass wir das erst im nächsten Jahr machen.«
Cathleen fühlte sich zurückgewiesen, doch sie widersprach nicht. Die alte Distanz war wieder zwischen sie zurückgekehrt, fast war es schlimmer als zuvor. Aber was hätte sie sagen sollen? Im Grunde hatte er ja recht, und ihre Mutter brauchte zudem ihre Unterstützung. Der Tod ihres Mannes hatte ihr zugesetzt. Elisabeth Sherwood war alt geworden. Ihre ergrauten Haare und der Mund, der kaum mehr als ein Strich war, ließen ihr Gesicht noch starrer und verhärteter als früher wirken. Sie war geistig oft abwesend. »Es war alles für dich, Cathleen, mein Kind«, sagte sie manchmal.
»Was war für mich, Mum?«
»Alles, was wir getan haben. Damit du Edward heiraten konntest. Bist du nicht glücklich, mein Kind?«
Cathleen ignorierte ihre Frage, doch ihre Mutter wiederholte sie wieder und wieder. »Du bist tatsächlich Lady Hampton geworden. Bist du nicht glücklich?«
Eines Tages drehte sie sich schließlich aufgebracht zu ihr: »Nein, ich bin nicht glücklich, Mum. Überhaupt nicht. Ich vermisse Amalia und Dad – und Edward liebt mich nicht richtig!« Sie erschrak selbst, als sie es aussprach.
Das Gesicht ihrer Mutter nahm einen fahlen Ton an. »Du bist undankbar«, zischte sie. »Wie kannst du sagen, dass du nicht glücklich bist!«
Cathleen blickte sie an und konnte sich nicht erklären, warum sie sich plötzlich an einen Satz erinnerte, den ihr Vater gesagt hatte. »Du bist ein gutes Kind. Halt dich von deiner Mutter fern.« Was hatte er damit gemeint? Sie war froh, als sie später wieder nach Hampton zurückfuhr.
Am Abend war sie zu einem Hauskonzert bei ihrer Freundin Lucy und deren Mann eingeladen. Doch auch die Musik konnte sie nicht auf andere Gedanken bringen. Später, als sie mit einem gezwungenen Lächeln plaudernd mit den anderen Gästen zusammenstand, merkte sie, wie niedergeschlagen sie war. Lucy, die sie zu gut kannte, zog sie mit sich in eine Ecke des Salons. »Du wirkst so bedrückt. Was ist mit dir?«
Cathleen erzählte ihr von ihren Sorgen – dass sie nicht schwanger wurde und vor allem, dass sie sich Edwards Gefühle nicht sicher war. Nur ihre geheimste Befürchtung, Edward könnte bei seinen Aufenthalten in London wieder so wie früher seine Affären haben, behielt sie für sich.
Lucy stieß ein helles Lachen aus. »Aber natürlich liebt Edward dich! Wie könnte man dich nicht lieben, Cathleen? Und ich sehe doch, wie aufmerksam er dir gegenüber ist. Du irrst dich ganz bestimmt. Warum besuchst du ihn nicht einfach in London?«
»Ich wollte ihn begleiten, aber er hielt das für keine gute Idee«, berichtete sie zögernd von ihrem Gespräch.
Lucy schüttelte den Kopf. »Das sagt er nur aus Rücksichtnahme, weil er nicht so viel Zeit für dich hat. Wir fahren nächste Woche nach London. Warum begleitest du uns nicht? Du könntest ihn überraschen!«
Cathleen war sich nicht sicher, wie erfreut Edward über ihren Besuch tatsächlich sein würde, aber vielleicht täuschte sie sich ja, und Lucy hatte recht. Ihr gefiel die Idee, und sie wollte ohnehin einen Termin bei dem Spezialisten machen. Allein bei dem Gedanken, der Gegenwart ihrer Schwiegermutter und Mutter einige Tage zu entkommen, verbesserte sich ihre Stimmung augenblicklich. Sie erinnerte sich plötzlich, wie kalt und abweisend Edward sich bei seinen letzten Besuchen den beiden Frauen gegenüber verhalten hatte. Cathleen war erschrocken gewesen. So hatte sie ihn früher nie erlebt. Er wirkte, als
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