Die Schwestern von Sherwood: Roman
könnte er es kaum ertragen, mit ihnen in einem Raum zu sein. Auch darin hatte sich sein Verhalten verändert, stellte sie nachdenklich fest.
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London, Sommer 1896
A malia hatte eine seltsame Unruhe ergriffen. Vor einigen Tagen war sie mit Edward unterwegs gewesen, und sie waren unweit des Hydeparks Bekannten von ihm begegnet, nur von Weitem. Sie waren in einer Kutsche an ihnen vorbeigefahren, und er hatte höflich seinen Hut gelüftet, doch Amalia hatte die neugierigen Blicke bemerkt.
Sie haben mitbekommen, dass du nicht allein warst.
Es war Edward gleichgültig. Er zuckte mit den Achseln. Selbst wenn! Viele Männer haben hier in London ihre Affären.
Bin ich eine Affäre?
Er war mitten im Laufen stehen geblieben und hatte sie voller Ernst angeschaut. Nein, Amalia, das bist du nicht und wirst du auch nie sein.
Sie war dennoch nachdenklich geworden. Es schien ihr wie ein ungutes Vorzeichen. Ihre Liebe umhüllte sie wie ein schützender Kokon, doch sie würden die Welt draußen nicht ewig von sich fernhalten können.
Wie zur Bestätigung hatte sie am nächsten Tag eine weitere Begegnung. Sie kam aus dem Büro von Deaf Friends , in dem sie Dr. Stevenson getroffen hatte, der ihr eine neue Arbeit vermitteln konnte. Ab der nächsten Woche würde sie zwei taube Kinder unterrichten können. Außerdem sollte sie zusätzlich für einen Postkartenhersteller einige Bilder für Ansichtskarten entwerfen. Amalia hatte sich überschwänglich bedankt und war gut gelaunt auf die Straße hinausgetreten. Zwei Häuserecken weiter, an der Station des Pferdeomnibusses, hatte sie auf einmal einen Blick auf sich gespürt. Auf der anderen Straßenseite stand ein Mann, der sie anschaute, als würde er ein Gespenst erblicken.
Sie war vor Schreck zusammengefahren, als sie erkannte, dass es sich um Mr Benson, den Gärtner ihrer Eltern, handelte. Was tat er in London? Dann erinnerte sie sich, dass Verwandte von den Bensons hier wohnten. Hastig hatte Amalia sich umgedreht und war mit pochendem Herzen zwischen den Menschen untergetaucht. Sie hatte nie darüber nachgedacht, dass sie in London einmal jemandem aus Devon über den Weg laufen könnte.
Während sie weiterging, hatte sie mehrmals das Gefühl, jemand würde ihr folgen. Als sie sich umdrehte, war jedoch niemand zu sehen gewesen. Anscheinend hatte sie sich getäuscht. Sie war froh, als sie ihre Wohnung erreichte. Edward wollte am Nachmittag kommen. Wenn sie wieder arbeitete, würde sie weniger Zeit für ihn haben, dachte sie. Sie kämmte ihr Haar und betrachtete sich dabei einen Augenblick lang im Spiegel. Sie sah glücklich aus. Ihre Wangen waren rosig. Dabei fühlte sie sich in der letzten Zeit oft müde – als würden die schrecklichen Ereignisse des letzten Jahres mit einem Mal ihren Tribut fordern.
Sie spürte ein Vibrieren unter ihren Füßen. Da in der Wohnung Dielen lagen, übertrugen sich die Schwingungen über den Boden, wenn jemand den schweren Türklopfer betätigte. Edward!
Sie lief zum Eingang und öffnete mit einem Lächeln die Tür. Es erstarb im selben Augenblick auf ihren Lippen. Sie war wie gelähmt vor Entsetzen, als sie den Mann, der vor ihr stand, erkannte. Wie hatte er herausgefunden, dass sie noch lebte?
»Hallo, Amalia«, sagte Mr Beans.
Panisch versuchte sie die Tür zu schließen, doch er hatte sofort den Fuß dazwischengestellt. Sie versuchte, sich mit aller Kraft dagegenzustemmen, aber Mr Beans drückte sie zur Seite.
»Hast du geglaubt, du könntest mich täuschen und mir entkommen?«
Er stieß sie in die Wohnung. Sein Mund verzog sich zu einem sadistischen Lächeln, als er ausholte und ihr ins Gesicht schlug. Sie schmeckte Blut und schrie. Es würde ihr nichts nützen, um diese Zeit waren die meisten Hausbewohner bei der Arbeit, wurde ihr klar. Tränen liefen ihr übers Gesicht, als sie der nächste Schlag traf. Sie taumelte nach hinten. Mr Beans war mit einem schnellen Schritt bei ihr.
»Dieses Mal wird dir keiner helfen!« Verzweifelt versuchte sie ihn wegzustoßen, doch er schlug erneut auf sie ein. Sie konnte fühlen, wie der Stoff ihres Mieders riss. Nein! Seine feuchten Lippen drückten sich auf ihren Mund, und sein säuerlicher Atem nahm ihr die Luft. Sie bemühte sich, den Kopf zur Seite zu wenden, doch er hielt ihr Kinn fest. Wieder traf sie ein Schlag. Erneut riss Stoff. Er warf sie aufs Sofa und hielt ihre Hände fest. Sein Gesicht – eine widerliche, geifernde Fratze – war über ihr. Amalia wehrte sich weiter und schrie.
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