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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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sie. »Aber wir haben das Haus legal gekauft«, beeilte sie sich hinzuzufügen. Sie bemerkte Melindas verständnislosen Blick.
    »Sie waren Juden. Wussten Sie das nicht?«
    Melinda schüttelte den Kopf.
    »Möchten Sie das Haus vielleicht anschauen?«, fragte die Frau plötzlich.
    Melinda zögerte. »Macht Ihnen das nicht zu viele Umstände?«
    »Aber nein!« Sie hatte die Hand ihrer Tochter losgelassen, die zurück zu ihrem Schneemann lief, und öffnete das quietschende Gittertor.
    »Gesine Krahnberg«, stellte sie sich vor.
    »Leewald, Melinda Leewald. Das ist wirklich sehr nett von Ihnen.«
    »Ach, ich zeige es Ihnen gern. Ich muss allerdings um Entschuldigung bitten, es ist leider alles etwas heruntergekommen. Mein Mann ist in Gefangenschaft, und ich habe keine Hilfe mehr«, sagte sie in einem Ton, der ahnen ließ, dass sie es einmal gewöhnt gewesen war, über Personal zu verfügen. »Gott sei Dank habe ich zwei Untermieter, die mich und Annegret über Wasser halten«, setzte sie hinzu und wandte dabei Melinda den Kopf zu. »Und Ihre Großmutter war also früher die Gouvernante der Kinder?«, fragte sie, während sie durch die hohe Eingangshalle gingen.
    »Nur des jüngsten Sohns. Er hieß Jacob, glaube ich«, sagte sie. Eine breite, geschwungene Treppe führte von zwei Seiten in den ersten Stock. In der Mitte hing ein prunkvoller Kronleuchter herab. Als Melinda nach oben schaute, sah sie, dass in der Decke eine gläserne Kuppel eingelassen war, durch die das Licht fiel.
    »Beeindruckend, nicht wahr?«, sagte Gesine Krahnberg mit Besitzerstolz.
    »Sehr!«, musste Melinda zustimmen.
    »Ich erinnere mich dunkel an Jacob«, sagte Frau Krahnberg dann. »Ich habe ihn einmal kurz gesehen. Als wir das Haus damals kauften, hatte der älteste Sohn schon die Bankgeschäfte übernommen. Aber die Eltern haben noch hier gewohnt und sein jüngster Bruder Jacob auch.«
    Melinda schaute Gesine Krahnberg überrascht an. »Jacob hat noch zu Hause gewohnt? War das nicht seltsam? Er muss doch bestimmt schon über vierzig, wenn nicht fünfzig gewesen sein«, sagte Melinda, nachdem sie im Geiste noch einmal schnell nachgerechnet hatte.
    Gesine Krahnberg zuckte die Achseln. »Nun ja, ich nehme an, dass die Familie ihn angesichts seiner Einschränkung schützen wollte.«
    »Hatte er eine Behinderung?«
    »Er war taub. Hat Ihre Mutter Ihnen das nicht erzählt?«
    Melinda schüttelte den Kopf. Das hatte sie tatsächlich nicht gewusst.
    Sie gingen weiter. »Oben befinden sich die Schlafzimmer und Bäder. Die meisten Räume sind abgeschlossen und werden zurzeit nicht benutzt, weil wir sie nicht beheizen können«, erklärte Gesine Krahnberg. Sie führte Melinda durch zwei elegant eingerichtete Salons im Erdgeschoss, die noch immer glanzvoll wirkten.
    »Die Finkensteins haben die meisten Möbel mitgenommen. Nur das Grammophon haben sie hiergelassen. Es stand früher oben im Zimmer von Jacob. Er konnte zwar nichts hören, aber wohl die Schwingungen spüren.«
    Sie waren in dem großen Wohnsalon angekommen, und Melinda blickte durch das Fenster nach draußen – in den Garten, der selbst in seinem verwilderten Zustand schön wirkte. Ein heruntergekommener Pavillon war zwischen den Bäumen zu erkennen. Einen Moment lang stellte Melinda sich vor, wie ihre Mutter hier früher einmal mit den Kindern der Finkensteins gespielt hatte – und wie ein kleiner Junge seine Hände auf das Grammophon gelegt hatte.
    Sie drehte sich zu der Hausbesitzerin um. »Vielen Dank, dass Sie mir das Haus gezeigt haben. Es war sehr schön, einen Eindruck gewinnen zu können, wie meine Mutter und Großmutter hier gelebt haben«, sagte sie und verabschiedete sich.
    Nachdenklich machte sie sich auf den Rückweg.
    15
     
    A ls sie gegen Mittag nach Hause kam, machte sie sich einen kleinen Imbiss. Draußen wehte erneut ein leichter Schneeregen gegen die Fenster, und Melinda dachte darüber nach, was sie von Gesine Krahnberg erfahren hatte: dass ihre Großmutter die Gouvernante eines tauben Jungen gewesen war. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass es um die Herkunft ihrer Großmutter und Mutter ein Geheimnis gab, das in irgendeiner Weise auch mit ihr selbst in Zusammenhang stand. Von Anfang an hatte sie diesen Eindruck gehabt. Jemand hatte gewollt, dass sie dieses Paket bekam, doch wer immer es gewesen war, hatte es vermieden, ihr dafür eine Erklärung zu liefern. Warum? Weil es etwas zu verbergen gab? Welchen Grund hätte es sonst geben können?
    So etwas wie Jagdinstinkt

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