Die Schwestern von Sherwood: Roman
von der Reportage, die sie geschrieben hatte, und dass sie am Nachmittag einen Termin bei Scholz habe.
»Nun, dann alles Gute dafür«, sagte Colby augenzwinkernd.
»Danke!«
Der Major schickte sich schon an weiterzugehen, als er sich noch einmal zu ihr umdrehte. »Übrigens, man hat sich bei uns nach Ihnen erkundigt.«
Sie blickte ihn überrascht an. »Sie meinen, jemand von der Zeitung, vom Telegraf ?«, fragte sie.
Colby schüttelte den Kopf. »Nein. Es war jemand anderes. Ich glaube sogar, ein Engländer. Ein Kollege von mir war damit betraut. Ich dachte, Sie hätten sich vielleicht noch für eine andere Arbeitsstelle beworben?«
»Nein.« Melinda schüttelte verwundert den Kopf.
»Nun dann!« Bevor sie weitere Fragen stellen konnte, war Major Colby auch schon mit einem knappen Kopfnicken weitergeeilt.
Wer konnte sich nach ihr erkundigt haben?, überlegte sie, während sie weiterlief. Vielleicht irgendeine Behörde. Das war am wahrscheinlichsten. Derlei Nachfragen waren nicht ungewöhnlich. Meistens ging es dabei um den berühmten Fragebogen, der im Zuge der Entnazifizierung Auskunft darüber gab, inwieweit man Sympathisant und Mitglied der NS-Organisationen gewesen war.
Melinda gab im Sekretariat ihre Texte ab, die mit einem Eingangsstempel versehen wurden, und unterschrieb mehrere Papiere, die für ihre Abrechnung notwendig waren.
Als sie die Besatzungskommandantur wenig später wieder verließ, war es gerade einmal neun Uhr. Genug Zeit!
14
D ie Straßen in Dahlem hatten sich kaum verändert und waren weitgehend von Bombenangriffen verschont geblieben. Melinda war das letzte Mal während des Krieges hier gewesen, und es überraschte sie, nun zu sehen, dass sich hier ein Stück Berlin zeigte, wie sie es noch von früher kannte. Über den Dächern der Häuser erhoben sich die Baumkronen von Kastanien, hohen Birken und Buchen. Die wenigen Autos, die auf den Straßen fuhren, waren amerikanischer Herkunft. Ein Großteil der Häuser und Villen in dieser vornehmen Wohngegend war mit Kriegsende erst von den Russen und dann von den Amerikanern beschlagnahmt worden. Hoffentlich verhielt es sich mit der Villa der Bankiersfamilie nicht ebenso, dachte Melinda. Dann hätte sie sich umsonst auf den Weg gemacht.
Sie war mit dem Bus bis zur Podbielskiallee gefahren und fand die Villa mit dem klassizistischen Säulenbau, die nur einige Straßen von der Haltestelle entfernt lag, sofort wieder. Farbe blätterte von den schmiedeeisernen Gittern des Zauns und von der Fassade. Die Fensterläden waren geschlossen. Melinda spähte durch die Gitter und stellte fest, dass der Garten verwildert wirkte und die Zufahrt des Grundstücks ungepflegt war. Es sah nicht danach aus, dass jemand in dem Haus wohnte. Enttäuscht wollte sie sich schon abwenden, als sie das Kind bemerkte. Es war ein Mädchen, eingepackt in eine dicke Jacke und Schal, das nur einige Meter neben dem Eingang aus dem pappig gewordenen Schnee einen Schneemann baute. Die Kleine schien ihre Schritte gehört zu haben, denn plötzlich drehte sie sich um. Sie kam neugierig auf sie zu.
»Hallo«, sagte Melinda. »Wohnst du hier?«
Die Kleine nickte.
»Annegret!«, schallte es in diesem Augenblick schneidend vom Haus her. Das Mädchen wandte sich verunsichert um.
Eine blonde Frau mit straff nach hinten gekämmten Haaren, die zu ihrem Kleid derbe Stiefel trug, war in der Eingangstür aufgetaucht. Mit schnellen Schritten kam sie auf den Zaun zu.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie kühl, ja beinahe unhöflich, während sie ihre Tochter fest an der Hand fasste.
Melinda wurde bewusst, dass es merkwürdig wirken musste, wie sie hier vor dem Zaun stand.
»Ja, verzeihen Sie, dass ich einfach so vorbeikomme, aber ich suche die Familie Finkenstein. Wohnt sie noch in diesem Haus?«
Ein misstrauischer Ausdruck glitt über das kantige Gesicht der Frau, als sie den Namen hörte. »Nein!«
Melinda nickte enttäuscht. »Und Sie wissen nicht zufälligerweise, wo sie hingezogen sind?«
Die Frau schwieg und strich ihrer Tochter, die sich an sie lehnte, übers Haar.
»Ich glaube, nach England«, sagte sie schließlich. »Sind Sie mit ihnen verwandt?«
»Nein. Meine Großmutter hat für sie als Gouvernante gearbeitet, und meine Mutter ist in diesem Haus aufgewachsen. Sie leben beide nicht mehr, und ich hatte gehofft, die Finkensteins etwas über sie fragen zu können.«
Das Gesicht der Frau nahm einen freundlicheren Ausdruck an. »Sie sind ’37 weggezogen«, sagte
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