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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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erlebt hatte.
    »Miss Leewald? Ich glaubte erst, ich hätte mich verhört, als man mir Ihren Namen nannte, aber Sie sehen Ihrer Mutter ähnlich. Obwohl es lange her ist, erinnere ich mich noch gut an sie«, sagte Beatrice Finkenstein mit einem Lächeln und erhob sich dann. Ihr Händedruck war überraschend kräftig. Sie deutete zu einem kleinen Besprechungstisch, auf dem Tee und Gebäck bereitstanden.
    »Wie geht es Ihrer Mutter? Sie war lange Jahre wie eine Schwester für mich. Sehen Sie, meine Kindheit in Berlin ist mir trotz des Krieges noch immer in wundervoller Erinnerung. Leider haben Ihre Mutter und ich uns nach ihrer Hochzeit aus den Augen verloren«, sagte sie, während sie ihnen beiden Tee einschenkte. Erst da bemerkte sie Melindas traurigen Gesichtsausdruck – und begriff. Sie stellte die Kanne ab.
    »Mein Gott … Ein Bombenangriff?«
    »Nein, Typhus. Im letzten Kriegsjahr«, erklärte Melinda.
    »Das tut mir sehr leid.« Ein erschütterter Ausdruck glitt über Mrs Finkensteins Gesicht. »Es ist schrecklich, wie viele Menschen in diesem Krieg sterben mussten. Ich selbst habe zwei meiner Brüder verloren.«
    Sie nippte betroffen an ihrem Tee, und die beiden Frauen schwiegen einen Moment lang, bevor Mrs Finkenstein Melinda schließlich fragte, was sie nach London führte.
    »Eine journalistische Fortbildung. Aber ich muss gestehen, dass ich auch hier bin, weil ich gern mehr über meine englische Herkunft erfahren möchte. Vor allem über meine Großmutter.«
    »Und inwieweit kann ich Ihnen dabei helfen?«
    »Ich hoffte, dass Sie vielleicht wissen, warum meine Großmutter, Helene Griffith, mit Ihrer Familie nach Deutschland gegangen ist. Ich habe nachgerechnet, 1897 war meine Mutter gerade erst geboren, und es war für die damalige Zeit doch bestimmt sehr ungewöhnlich, mit einem so kleinen Kind sein Heimatland zu verlassen. Hat meine Großmutter jemals darüber gesprochen, warum sie aus England fortgegangen ist?«
    Ein merkwürdiger Ausdruck glomm in Beatrice Finkensteins Augen auf. »Gesprochen? Aber nein. Ich habe ihre Stimme überhaupt nur ein- oder zweimal gehört. Sie mochte es nicht zu sprechen, weil es sich ihrer Kontrolle entzog. Sie war ja taub, genau wie mein Bruder Jacob.«
    Melinda starrte sie an. »Sie konnte nicht hören?«
    »Aber nein! Das wussten Sie nicht?«
    Sie schüttelte wie erschlagen den Kopf. »Meine Mutter hat es nie erwähnt. Und ich selbst habe meine Großmutter nie richtig kennengelernt. Als sie starb, war ich noch ein kleines Kind.«
    Mrs Finkenstein, die einen Schluck Tee getrunken hatte, stellte ihre Tasse ab. »Nun, die Taubheit Ihrer Großmutter war der Grund, warum meine Eltern sie damals als Gouvernante für meinen Bruder Jacob eingestellt haben«, erklärte sie. »Ihre Großmutter hat ihm die Gebärdensprache beigebracht, und meine Eltern wollten, dass Jacob die Möglichkeit hat, mit jemandem zu kommunizieren, der wie er ist. Er hing sehr an Ihrer Großmutter.«
    Melinda dachte an das Buch, das sie im Schrank ihrer Mutter gefunden hatte. Auf einmal ergab alles einen ganz neuen Sinn.
    »Aber warum Ihre Großmutter sich entschlossen hat, England zu verlassen, weiß ich leider nicht«, fuhr Mrs Finkenstein fort. »Ich entsinne mich dunkel, dass meine Mutter einmal erwähnte, dass sie viel durchgemacht habe, bevor sie zu uns kam, und alles hinter sich lassen wollte, aber was genau sie damit meinte, kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Melinda blickte sie mit einem seltsamen Gefühl im Bauch an. Das Leben für eine taube Frau war damals bestimmt nicht einfach gewesen. War das der Grund gewesen, dass ihre Großmutter viel durchgemacht hatte – oder gab es noch etwas anderes, das in ihrem Leben geschehen war? Sie musste plötzlich an den Zeitungsartikel denken.
    »Sagt Ihnen der Name Sherwood etwas?«, fragte Melinda.
    »Sherwood?« Beatrice Finkenstein schüttelte den Kopf. »Leider nein. Vielleicht sollten Sie sich einmal mit meiner Mutter unterhalten«, meinte sie plötzlich. »Sie ist zurzeit in Wales bei Freunden, kommt aber zu Beginn der nächsten Woche wieder nach London zurück. Sie ist zwar bereits einundachtzig Jahre alt, aber sie verfügt noch immer über ein bemerkenswertes Gedächtnis.«
    »Wenn das ginge, würde ich das sehr gerne tun«, sagte Melinda erfreut. Sie bedankte sich noch einmal, dass Mrs Finkenstein sich für sie Zeit genommen hatte. Die Direktorin versprach, sich bei ihr zu melden, sobald ihre Mutter zurück war.
    23
     
    D er Freitag und das Wochenende

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