Die Schwestern von Sherwood: Roman
beweisen, dachte Amalia.
Sie eilte mit schnellen Schritten den Pfad entlang. Er war schon da, genau wie bei den anderen beiden Malen, die sie sich bisher getroffen hatten. Sie konnte ihn von Weitem sehen, wie er von oben auf dem Gipfel mit nachdenklicher Miene in die Ferne blickte. Unwillkürlich blieb sie für einen Augenblick stehen. Eine schlaflose Nacht lag hinter ihr. Am Tag zuvor, als sie aus dem Moor zurückgekehrt war, hatte Cathleen ihr in lebhaften Gesten von irgendeinem Fest und einer Einladung erzählt, doch Amalia hatte ihren Schilderungen kaum folgen können. Immer wieder waren ihre Gedanken abgeschweift und zu ihm gewandert und zu den Schachfiguren, die er ihr geschenkt hatte. Gut verwahrt befand sich der schwarze König – der inzwischen von seinem weißen Gegenspieler und zwei Türmen ergänzt worden war – in der Tiefe ihrer Rocktasche. Sie hatte daran gedacht, dass die Figur des schwarzen Königs sie auf eigenartige Weise an ihn erinnerte, als würde sich in ihr jene dunkle Melancholie spiegeln, die auch ihn umgab.
Was ist denn mit dir? , hatte Cathleen schließlich mit gerunzelter Stirn gefragt, da ihr auffiel, dass sie mit ihren Gedanken weit fort weilte.
Nichts! Sie war rot geworden und hatte ihrer Schwester gegenüber zum ersten Mal ein schlechtes Gewissen verspürt, weil sie ein Geheimnis vor ihr hatte. Doch sie wollte ihr nicht von ihm erzählen. Es überraschte sie selbst, dass es so war. Sie rechtfertigte sich innerlich, dass es richtig sei, denn Cathleen würde sich nur Sorgen machen, wenn sie erfuhr, dass sie sich allein mit einem Mann im Moor traf, ja, ihre Schwester würde sich vielleicht sogar verpflichtet fühlen, ihren Eltern davon zu berichten.
Tief in ihrem Inneren wusste Amalia jedoch, dass das nicht der wahre Grund war. Es war schlichtweg das erste Mal, dass sie etwas hatte, das sie ganz für sich allein haben wollte. Ein Erlebnis, das nur ihr gehörte und das sie mit niemandem zu teilen bereit war. Auch nicht mit ihrer Schwester. Ohnehin spürte sie, dass es ihr nicht gelingen würde, das, was zwischen ihr und diesem Mann war, zu beschreiben. In den Nächten, wenn sie sich in ihrem Bett wälzte und immer wieder sein Gesicht vor sich sah, fragte sie sich, was zwischen ihnen weiter geschehen würde. Zweimal hatten sie sich jetzt getroffen, und er hatte sie zum Abschied in die Arme genommen und geküsst, nicht so wie beim ersten Mal, als die Leidenschaft sie mitriss, sondern sehr sanft, als wäre sie ein kostbarer, zerbrechlicher Gegenstand. Sein Mund hatte den ihren kaum berührt, sondern nur gestreift, doch sie hatte seinen warmen Atem auf ihrer Haut fühlen können und war auf eine Weise erschauert, die sie noch nie erlebt hatte.
Als sie jetzt hinter ihm den Hügel erklomm, fuhr er herum. In seinem Gesicht entdeckte sie wieder die Düsternis, einem Schatten gleich, der jedoch verschwand, als er sie erblickte. Was war es, das eine so schwere Last für ihn bedeutete? Amalia hätte es ihn gern gefragt, doch sie spürte, dass er nicht bereit war, ihr darüber etwas mitzuteilen. Das, was sie sonst waren, spielte keine Rolle zwischen ihnen. Nicht einmal ihre Namen wussten sie voneinander. Es war Amalia, die es so gewollt hatte.
Als er sie bei ihrer ersten Verabredung erneut danach gefragt hatte, hatte sie den Kopf geschüttelt.
Du willst mir deinen Namen nicht sagen? Aber warum nicht?
Amalia hatte für einen Augenblick den Blick gesenkt. Wie sollte sie es ihm erklären? Wie ihm sagen, dass es zu ihrem eigenen Schutz war, weil sie sich nicht der Illusion hingeben wollte, nicht hingeben durfte , dass es zwischen ihnen jemals mehr als diese Begegnungen geben könnte. Er ahnte nicht, wer sie war. Sie trug wie immer, wenn sie im Moor unterwegs war, die Kleidung einer Frau aus einfacher Schicht. Sie hatte überlegt, sich anders zu kleiden, denn sie wollte ihm gefallen. Amalia war ehrlich genug, das zuzugeben, doch dann hatte sie sich schweren Herzens dagegen entschieden. Es war besser so. Er wusste nicht, wer sie war, und so sollte es bleiben.
Weil es nicht von Bedeutung ist , hatte sie deshalb als Antwort auf den Block geschrieben.
Seine Augenbrauen waren nach oben geschnellt, und sein ungläubiges Gesicht verriet, was er sagen wollte. Aber ich habe dich geküsst. Willst du nicht auch den Namen des Mannes wissen, der dich in den Armen gehalten hat?
Nein, sie wollte es nicht wissen! Es würde ihrer Begegnung jede Unbefangenheit und die Leichtigkeit nehmen, dessen war sich
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