Die Schwestern von Sherwood: Roman
dass eine der Figuren sich in besonderer Weise aus dem Spiel hervorheben sollte …« Während der Mann erzählte, wandte er sich zu einem der Schränkchen hinter sich um, aus dem er eine verzierte Holzschachtel hervorholte. »Deshalb wurde die Figur der Dame, die zu den weißen Steinen gehörte, aus einem andersfarbigen Marmor angefertigt. Es ist eine absolute Seltenheit. Schauen Sie selbst!« Der Antiquitätenhändler hatte ein schwarzes Samttuch genommen und die Figur daraufgelegt, die er ihm nun reichte. Die Dame war aus tiefrotem Marmor – ihre fein gearbeiteten Züge vermittelten einem beinahe das Gefühl, in ein Gesicht zu blicken.
54
E r kaufte das Spiel, und eine knappe halbe Stunde später befand er sich mit dem Päckchen unter dem Arm auf dem Weg zurück. Als er das Haus erreichte, begann es langsam dunkel zu werden. Die Dienstboten waren dabei, Gaslichter und Leuchter im Haus zu entzünden. In der Halle kam ihm der Butler entgegen.
»Mylord?«
Er zuckte bei der neuen Anrede zusammen.
»Lady Hampton erwartet Sie in der Bibliothek.«
Er nickte. Auf dem Weg durch den langen Flur, den die lange beeindruckende Porträtreihe seiner Ahnen zierte, wurde er sich erneut der Verantwortung bewusst, die er nun für alle trug. Für seine Familie, aber auch für die Dienstboten und zahlreichen Angestellten.
Seine Mutter war allein. Sie saß auf einem Stuhl in der gleichen steifen Haltung, als hätte sie sich seit seinem Weggehen nicht bewegt. Für einen kurzen Moment glitt ein irritierter Ausdruck über ihr Gesicht, als sie das Paket mit dem Schriftzug Red Lion Antique bemerkte.
Sie war aschfahl. »Uns wird nicht viel Zeit bleiben«, sagte sie.
»Nein.« Ihm waren die Worte des Notars und die Liste der Gläubiger, die er ihm überreicht hatte, selbst noch deutlich genug im Kopf.
»Unter den besagten Umständen denke ich, dass du die Trauerzeit so kurz wie möglich halten solltest.«
Er nickte, während er sich neben ihr auf einem Stuhl niederließ und in das Kaminfeuer starrte. »Ich weiß, was man von mir erwartet, Mutter, und selbstverständlich werde ich das Notwendige tun«, sagte er und nahm dabei wieder diese eigenartige Gefühllosigkeit wahr, als würde nicht er diese Worte sagen. Sein Blick heftete sich auf das Päckchen, das er neben sich abgelegt hatte.
Sie strich nervös über ihren Rock. »Es muss schnell gehen. Bevor das alles noch weitere Kreise zieht.«
Er nickte. Auch das wusste er selbst nur zu gut.
Seine Mutter wandte ihm das Gesicht zu und legte die Hand auf seinen Arm. »Du bist jetzt das neue Familienoberhaupt, Edward. Ich weiß, dass es schwierige Zeiten sind. Doch ich bin stolz darauf, dass du nun der neue Earl of Hampton bist.«
55
A malia lehnte an dem Felsen, den Umhang neben sich, denn es war ein warmer Tag. Sie arbeitete gedankenverloren an einer Skizze der Landschaft, als er plötzlich vor ihr stand. Ihr stockte der Atem. Er war genauso unerwartet aufgetaucht wie beim letzten Mal. Selbst der Hügel war der gleiche.
Seit dem Kuss hatten sie sich nicht mehr gesehen, und er sah sie an, als wäre er von einer langen Reise zurückgekehrt.
Er sah gut aus – die schwarzen Haare, die ihm in die Stirn fielen, seine hochgewachsene Gestalt und das ebenmäßige, markante Gesicht, das einen kühnen, leidenschaftlichen Zug besaß, der sie vom ersten Moment an gefesselt hatte. Noch immer umgab ihn etwas Melancholisches, aber im Vergleich zu ihrer letzten Begegnung wirkte er gefasst und wieder Herr seiner selbst.
Ohne sie aus den Augen zu lassen, ließ er sich ein Stück vor ihr auf einem Stein nieder, nahm seinen Hut ab – und lächelte.
Eine unausgesprochene Frage lag auf seinem Gesicht.
Sie legte zögernd den Block zur Seite. Sie konnte sie ihm nicht beantworten. Wie auch? Ein Anflug von Verlegenheit wallte in ihr auf, als sie sich an den leidenschaftlichen Kuss zwischen ihnen erinnerte, an den Geschmack seiner Lippen, von dem sie in den Nächten geträumt hatte. Sie freute sich, ihn zu sehen, während sie gleichzeitig spürte, wie sich ihr Herzschlag unter seinem Blick beschleunigte.
Sie sollte aufstehen und gehen, weit weg, um ihn nie wiederzusehen, schoss es ihr durch den Kopf. Es würde wehtun. Was konnte es schon zwischen ihnen geben?
Doch sie blieb sitzen. Sie hatte gewusst, dass er kommen würde, als gäbe es schon seit ihrer ersten Begegnung eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen, in der sie längst gefangen war.
Einen Moment lang blickten sie beide sich nur
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