Die Schwesternschaft

glaubten, den Lichtern anderer Boote zu folgen und einen sicheren Kurs zu fahren, alle gegen die Klippen. Bum!«
    Â»Bum!«, wiederholte Maeve und riss die Augen auf.
    Â»Die Piraten kamen sofort angerannt und raubten die ganze Ladung.«
    Â»Huhh«, Maeve schauderte. »Und was haben sie mit den Männern gemacht?«
    Â»Umgebracht.«
    Â»Alle?«
    Â»Alle«, erklärte Paddy feierlich.
    Â»Ist gar keiner entkommen, nicht mal ein ganz kleiner?«
    Â»Oh Maeve …« Plötzlich blieb Paddy stehen. »Sieh mal dort«, sagte er und deutete hinunter zu dem kleinen Hafen jenseits des Anwesens. Dort hatte ein Segelboot angelegt.
    Â»Wer ist das?«, fragte Maeve.
    Â»Ich weiß es nicht«, erwiderte Paddy. »Merkwürdig. Die Besitzer sind nicht da. Es wartet also niemand dort.«
    Â»Lass uns hingehen!«
    Maeve wollte schon losrennen, aber ihr Bruder hielt sie am Arm zurück. »Halt. Sieh mal, wer da kommt.«
    Zwei Gestalten liefen auf sie zu. Eine war der alte Tim, die andere eine Frau. Sie trug eine gelbe Regenjacke. Offensichtlich war sie mit dem Segelboot gekommen.
    Â»Kommt her, Kinder!«, rief Tim.
    Maeve wäre ihm am liebsten gleich entgegengerannt, aber Paddy nahm sie bei der Hand, und sie lief folgsam neben ihm her. Sie eilten die Wiese hinunter auf die Erwachsenen zu.
    Als sie Tim gegenüberstanden, fasste dieser den einen rechts, die andere links an der Hand und sagte: »Ihr müsst mit mir kommen …«
    Â»Aber ist jetzt nicht Zeit fürs Mittagessen?«, wunderte sich Paddy und musterte die fremde Frau.
    Â»Ihr müsst mit mir kommen«, wiederholte Tim energisch und schlug den Pfad ein, der zum südöstlichen Teil des Anwesens, in Richtung Kapelle, führte.
    Â»Aber heute ist doch gar nicht Sonntag«, wandte Paddy erneut ein und drehte sich zu der Frau um, die schweigend nebenherlief.
    Tim antwortete nicht, doch seine Hände zitterten.
    Nach wenigen Minuten hatten sie die Kapelle erreicht, ein kleines Bauwerk aus grauem Bruchstein mit einer Kolonnade an der Vorderseite. Nebenan, von einer niedrigen Mauer eingefasst, lag der Friedhof. Vor der Kapelle stand ein Mann, ebenfalls in Regenkleidung, mit einem Gewehr in der Hand.
    Tim drückte die Hände der beiden Kinder. »Keine Angst«, versuchte er sie zu beruhigen. »Es ist nur ein Spiel. Keinem wird etwas geschehen.«
    Der Mann in Regenkleidung öffnete das Holztor und wandte sich an die Frau: »Sind alle da?«
    Â»Alle«, bestätigte sie.
    Kaum hatte Tim die kleine Kirche betreten, stürzte sich Maud Sherman auf ihre Kinder und schloss sie fest in die Arme. Neben ihr stand John, ihr Mann.
    Â»Was ist los, Mama?«, fragte Maeve. »Und wer sind diese Leute«, fügte sie hinzu, wobei sie auf zwei weitere Gestalten in Regenkleidung, einen Mann und eine Frau, deutete.
    Der Vater strich ihr übers Haar. »Sei still«, sagte er in bittendem Ton.
    Auf den Bänken saßen die übrigen Inselbewohner. Mo Carrickfergus, Doran Bras und Sligo Dromahair. Zwischen ihnen Michael O’Hara, mit blutverschmiertem Gesicht. Die Männer in Regenkleidung zwangen auch die Shermans und Tim, sich zu setzen.
    Seltsamerweise begann schließlich eine der Frauen zu sprechen. »Sind jetzt alle hier?«, wandte sie sich drohend an Tim.
    Â»Ja, alle hier«, bestätigte er.
    Â»Sicher?«
    Â»Ich schwöre es.«
    Â»Handys?«
    Â»Ihr habt sie uns alle abgenommen.«
    Die Frau warf ihren Begleitern einen Blick zu, dann wandte sie sich erneut an Tim: »Ich werde euch kurz das weitere Vorgehen erklären.«
    Alle hielten den Atem an.
    Â»Ihr macht keine Dummheiten und bleibt hier. Er …«, sie deutete auf den Mann mit dem Gewehr, »… wird auf euch aufpassen. Wir müssen etwas erledigen. In ein paar Stunden, wenn wir fertig sind, werdet ihr alle frei sein. Solange keiner von euch auf dumme Gedanken kommt, wird niemandem etwas geschehen. Verstanden?«
    Â»Verstanden«, wiederholte Tim, gemeinsam mit einigen der Anwesenden.
    Â»Ich muss mal Pipi«, verkündete Maeve.
    Einen Augenblick lang herrschte Stille.
    Â»Geh mit ihr raus«, befahl die Frau der Mutter. »Wenn ihr in einer Minute nicht wieder hier seid, bringe ich den Jungen um.«
    Maud nahm das Mädchen auf den Arm und eilte hinaus.
    Die Frau zog eine Maschinenpistole hervor und hielt sie Paddy an die Schläfe. Dann sah sie auf die Uhr und begann