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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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Ihres Vaters, mit einer bescheidenen Summe finanzierbar wäre. Auch Sie würden dabei eine Rolle spielen, versteht sich … und mit einem ersten ganz eigenen Projekt glänzen können.«
    Bei diesen Worten sprang Nadja von Bettie-2 auf und schlug mit der Hand auf die Betonplatte des Schreibtisches: »Es reicht mit diesem verdammten Unsinn!«
    Schorowsky sah sie erstaunt an.
    Â»Professor, meine Zeit ist knapp«, fuhr sie fort und versuchte, ihren Ton zu mäßigen. »Ich bin ausschließlich wegen der Bühnenprospekte hier. Sagen Sie mir, was Sie darüber wissen, ohne mir weiter die Zeit zu stehlen.«
    In diesem Augenblick ging die Tür auf. »Sie wünschen, Herr Professor?«, fragte die junge Hostess eilfertig.
    Nadja hielt inne. Schorowsky musste irgendeinen versteckten Knopf gedrückt haben. Ihr wurde bewusst, dass sie zu weit gegangen war, sie hatte sich von ihrer Wut hinreißen lassen. Sie nahm sich zusammen und strich ein wenig verlegen den Mantel glatt. Aber sie blieb stehen, um zu erkennen zu geben, dass sie das Gespräch für beendet hielt.
    Schorowsky gewann ein wenig Farbe zurück. »Fräulein, würden Sie die Frau Doktor bitte zu Wasily bringen: Sie interessiert sich für die alten Bühnenprospekte, von denen wir uns vor ein paar Jahren getrennt haben.«
    Dann verabschiedete er sich von Nadja, wobei er versuchte, die Situation mit einem Scherz zu retten: »Ich übergebe Sie nun vertrauensvoll an Wasily, Frau Doktor Gavrilovna Derzhavin. Auch er ist ein alter Knochen. Aber Angestellte kann man leider nicht verkaufen!« Er brach in Gelächter aus.
    Nadja eilte hinaus, ohne sich umzudrehen.
    Â»Einen schönen Tag noch!«, schrie der Professor, aber sie erwiderte den Gruß nicht.
    Sie gewann ihre innere Ruhe erst wieder zurück, als sie im zweiten Untergeschoss auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch desjenigen Mannes Platz nahm, den man ihr lediglich als »Wasily« vorgestellt hatte. In dieser Umgebung fühlte sie sich gleich wohler: ein unterirdisches, fensterloses Archiv, in dem es nach altem Papier und Holz roch. Dazu endlose Reihen von Regalen, die mit Schachteln, Büchern und zusammengerollten Leinwänden vollgestopft waren, dazwischen schmale Gänge mit fahrbaren Leitern.
    Dieser gebrechlich wirkende Alte mit seinen Schriftrollen, dem Rabbinerbart und einem Zwickel auf der Nase gefiel ihr auf den ersten Blick: Er sah aus, als sei er tausend Jahre alt und habe schon immer hier unten gesessen. Er lächelte Nadja zu und zeigte dabei ungeniert seine lückenhaften, nikotingelben Zähne. »Womit kann ich Ihnen weiterhelfen, junge Frau?«
    Angesichts seiner Person sparte sie sich lange Reden und zog Svetlanas E-Mail hervor. Sie las die wichtigsten Informationen vor: »November ’42. Sankt Petersburg, seinerzeit Leningrad. Der Kirschgarten, Bühnenbild von Olga Twardowski.«
    Wasily hob den Blick, dann schloss er für einen Moment die Augen. Er erhob sich, verschwand in einem der Gänge und ließ sie allein zurück. Nadja bemerkte, dass er das linke Bein hinter sich herzog.
    Nach kurzer Zeit kehrte er zurück, einen abgewetzten Pappkarton mit der Aufschrift LENINGRAD: SPIELZEIT 1942/43 in der Hand. Er leerte ihn seelenruhig, Stück für Stück, auf den Schreibtisch aus. In bunter Reihenfolge kamen Plakate, Handzettel, Zeitungsausschnitte, alte, in schönster kyrillischer Handschrift verfasste Verzeichnisse, Vollmachten, die mit dem Stempel des lokalen Sowjets versehen waren, und eine Banknote mit dem Gesicht Stalins zum Vorschein, deren Wert insgesamt drei Mal in immer neuen Farben aufgedruckt und dabei stets erhöht worden war.
    Der Alte stöberte ein Weilchen, dann fand er, was er gesucht hatte. »Na bitte … Ich wusste doch, dass da noch etwas war …« Er reichte Nadja eine Rolle. Das Gummiband, das darum gewickelt war, zerriss sofort, als sie versuchte, es abzuziehen.
    Es waren drei gleiche Plakate für das Theaterstück.
    Nadja breitete das am wenigsten verblichene Exemplar auf dem Schreibtisch aus, und ihr Herz machte einen Sprung: Im Hintergrund der Liste mit den Rollen und ihren Darstellern war der Baum des gestohlenen Bühnenprospektes zu sehen. Es handelte sich um eine Fotografie der Bühne mit geöffnetem Vorhang, aufgenommen von der Mitte des Parketts: Der Bühnenprospekt nahm beinahe die gesamte Bildfläche ein.
    Im unteren Teil waren einige

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