Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
Vom Netzwerk:
eigene Tasche wirtschaftenden Politikern zu leiden hatten. In diesem Punkt, fand Kirill, hatte sich Gavril stets von allen andern Machthabern des neuen, geldgierigen Russland unterschieden. Derzhavin würde nicht mit der Wimper zucken, einen seiner Gegner ermorden zu lassen, aber er hätte sich niemals darauf eingelassen, eine ganze Stadt in den Ruin zu treiben, um damit schnelles Geld zu machen. Nicht weil er so eine gute Seele hatte, er war nur der Überzeugung, dass sich derartiges Handeln früher oder später gegen ihn selbst wenden würde. Unter solchen Umständen bestand Gavrils Taktik darin, die am übelsten Gesinnten vorpreschen, sie die schmutzige Arbeit erledigen zu lassen und ihnen dabei zuzuschauen, wie sie sich mit Champagner und Beluga-Kaviar abfüllten, um sie schließlich, wenn sie am wenigsten damit rechneten, aus dem Weg zu räumen.
    Als die Falcon auf dem Flughafen von Astana gelandet war, stieg der Sibirier, mit nichts als einem Köfferchen in der Hand, aus. Er rechnete mit dem üblichen Gespann an Zöllnern, die nur darauf lauerten, ein Schmiergeld einzustreichen, aber außer einem großen japanischen SUV , der mit geöffneter Wagentür wenige Meter entfernt wartete, war niemand zu sehen. Es schien, als seien sie soeben auf einem Geisterflughafen gelandet.
    Hinter Kirill sah sich nun auch Parnok − der Mann aus Taras’ Truppe − vorsichtig um. Die ungewöhnliche Situation beunruhigte ihn.
    Die beiden erreichten den Wagen, aus dem der Fahrer ausstieg. Ein stämmiger junger Mann um die dreißig, mit kantigem Kinn und länglichen Gesichtszügen, die ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Bullterrier verliehen. Er trug einen schweren Mantel und eine Fellmütze, aber er wirkte eher wie ein Bergarbeiter und nicht wie ein Fahrer.
    Â»Nur eine Person«, erklärte der Mann mit kasachischem Akzent.
    Â»Er gehört zu mir«, erwiderte Kirill trocken.
    Blitzschnell zückte der Fahrer eine Pistole und richtete sie auf Parnok. »Nur eine Person«, wiederholte er.
    Kirill ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Weißt du, wen du vor dir hast?«, fragte er ruhig.
    Â»Ich weiß, dass ich nur eine Person befördern soll.«
    Parnok, der neben Kirill stand, flüsterte: »Wenn du willst, mach ich diesen Idioten auf der Stelle kalt.«
    Für Kirill war ein Mord immer ein schlechter Anfang. »Nein«, antwortete er ebenfalls flüsternd. »Geh zurück zum Flugzeug. Aber sobald ich den Flughafen verlassen habe, such dir irgendein Verkehrsmittel und folge mir an den dir bekannten Ort.«
    Â»Alles klar.« Parnok nickte und entfernte sich in Richtung Jet.
    Erst nachdem der Ukrainer in der Falcon verschwunden war, ließ der Fahrer die Pistole sinken. »Gut«, sagte er zufrieden. »Nur eine Person.« Dann nahm er auf der Fahrerseite Platz und wartete auf Kirill.
    Als der Sibirier in den Wagen stieg, stach ihm der Geruch von nassem Hundefell in die Nase.
    Â»Guten Tag, mein Herr«, begrüßte ihn der Fahrer, als würde er ihn zum ersten Mal sehen.
    Â»Weißt du, wie lange wir nach Sary Arka brauchen?«, fragte Kirill und legte den Koffer auf den Sitz.
    Â»Ja, mein Herr«, antwortete der Mann. Aber er fügte dem nichts hinzu. Vielleicht hatte er die Frage nicht verstanden, doch das hinderte ihn nicht daran, mit quietschenden Reifen anzufahren.
    Kirill musste seinen Kontaktmann vor Ort treffen: Gabit Suleimelov, ein Ex-Militär, der es nach dem Fall der Mauer vorgezogen hatte, auf eigene Faust zu arbeiten. Kirill kannte ihn erst seit Kurzem und konnte ihm daher nicht trauen. In Kasachstan gab es einfache Regeln: Keiner war der Freund des andern, es galt, die kasachische Flagge zu achten, und bestimmte Geschäfte konnten nur in Euro getätigt werden. Davon hatte Kirill gleich einen ganzen Koffer dabei: nämlich den, der neben ihm lag.
    Während der Fahrt sah er durch die getönten Scheiben auf die Straßen von Astana. Die Stadt hatte sich sehr verändert, überall ragten hohe Gebäude in den Himmel, im Gegensatz zu früher waren alle Fassaden bunt gestrichen, als sei die Farbe Grau per Gesetz verboten worden. An allen Ecken und Enden sah man Skulpturen und Installationen zu Ehren der Nation.
    Die Leute auf den Straßen wirkten entspannt, heiter und zufrieden mit dem Leben, das sie hier führten. Ihre Einkaufstaschen waren prall gefüllt, und es schien, als

Weitere Kostenlose Bücher