Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
Vom Netzwerk:
und Mäzen, Aktion und Vision auf gekonnte Weise vereint … Russland braucht mehr denn je Menschen wie ihn. Außerdem arbeitet Ihre Stiftung sehr eng mit uns zusammen: Sie sponsert die jährliche Ausstellung unserer besten Absolventen, die jeweils im Frühjahr im Saal der Titanen zu sehen ist. Im Gegenzug vermitteln wir sie an die ›Baustelle‹ … Sie kennen das großartige Atelier in Moskau, in dem junge Nachwuchstalente arbeiten?«
    Â»Sie meinen die Galerie von Lena Leskov?«
    Dieser Name dämmte den Redefluss des Professors ein, er merkte sofort, dass er einen Fauxpas begangen hatte.
    Um nicht noch weitere Zeit zu verlieren, half ihm Nadja aus der Verlegenheit. »Ja, es ist eine der Initiativen, auf die wir besonders stolz sind«, log sie. »Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich hier bin.«
    Schorowsky nutzte die Chance: »Haben Sie mein bescheidenes Arbeitszimmer zur Kenntnis genommen, Frau Doktor?«
    Â»Sehr beeindruckend, sehr wirkungsvoll, das sagte ich bereits. Aber ich verstehe nicht …«
    Er ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, eine weitere Lobrede anzubringen, diesmal auf sich selbst: »Sehen Sie, ich bin zum Leiter dieses Museumsinstituts ernannt worden, um ihm endlich den Weg in die Zukunft zu weisen, nachdem es, erst unter der Zarenherrschaft, dann unter der Sowjetunion, in narzisstischer Selbstverherrlichung erstarrt war …« Er hob einen Moment lang den Kopf, als habe er ein störendes Geräusch vernommen, dann ließ er ihn wieder zwischen die Brüste von Bettie-1 sinken und sah mit verträumtem Ausdruck zur Decke: »Ich habe mein gesamtes visionäres Gespür in dieses Projekt gesteckt«, begann er erneut. »Und mein erster Schritt war, dieses Büro unmittelbar in der Zukunft zu konzipieren, um hautnah erleben zu können, was uns erwartet. Genauer gesagt habe ich beschlossen, mich mit der Konzeption exakt an den Tag danach zu halten, also an den ersten Tag der Ära Danach.«
    Endlich begriff Nadja, was diese verschlissenen Wände mit den darauf projizierten Schatten, die geschmolzenen Wachsgesichter, die zerborstenen Strahler, diese Atmosphäre der Zerstörung zu bedeuten hatten: die nukleare Vernichtung vom Tag danach aus gesehen … Dieses Büro war von dem Professor als Installation gedacht und hätte den Titel Vorgeschmack auf Hiroshima am 7. August 1945 tragen können.
    Â»Nun«, fuhr Schorowsky fort, »ich sehe Ihnen an, dass Sie mir so weit folgen konnten, nichts weiter hier als Schatten der Vergangenheit, Bruchstücke der Berliner Mauer, erotische Reliquien, die die Feier der Macht überdauert haben. Eine Macht, die vom Mann erdacht wurde, um die Frau zu erbeuten. Eine Macht, die entglitten ist und alles zerstört hat. Ein ungewollter Kollateralschaden des Missbrauchs der Regime …«
    Der Professor gestikulierte hektisch, und hinter den dicken Brillengläsern wirkten seine Pupillen unglaublich groß. Symptome, die Nadja gut kannte. Sie nahm ihr letztes bisschen Geduld zusammen und versuchte wieder zum Zug zu kommen, indem sie ihn durch ein lautes, trockenes Husten unterbrach und ihm dann eilig zuvorkam, ehe er weiteren Schwachsinn von sich geben konnte: »Verstehe, Herr Direktor, verstehe. Ich hoffe, dass wir bald Gelegenheit finden werden, Ihre … Visionen weiter zu erörtern. Natürlich noch vor der atomaren Katastrophe. Aber in drei Stunden muss ich wieder abreisen, und ich würde gerne die Gelegenheit nutzen, um von Ihnen etwas über die Petersburger Bühnenprospekte zu erfahren. Darf ich Ihnen einen vorläufigen Entwurf präsentieren?«
    Endlich hielt Schorowsky inne. Er änderte seine Haltung, machte es sich auf dem linken Schenkel von Bettie-1 bequem und nahm die Brille ab, um die Gläser mit dem Jackensaum zu polieren. Als er nun das Wort ergriff, wirkte er weniger exaltiert: »Frau Maskhadova hat mir bereits erzählt, dass Sie den Katalog zu der bevorstehenden Ausstellung der Sammlung Ihres Vaters herausgeben … Die Idee ist ausgezeichnet! Eine Ausstellung von Bühnenprospekten zum Gedenken Ihrer Mutter … Catherine Derzhavin war eine großartige Schauspielerin, die einzig wahre Diva unserer Zeit, eine Marilyn, der Liebling aller Russen. Auch ich habe daran gedacht, ihr zu Ehren eine Installationsreihe zu schaffen, und ich möchte Ihnen diesbezüglich ein Projekt unterbreiten, das, gemessen an den Mitteln

Weitere Kostenlose Bücher