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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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wollten sie alle die Vergangenheit vergessen, als seien sie stolz auf dieses Land, das sich seit jeher gegen jegliche Form der Fremdherrschaft zur Wehr gesetzt und nun endlich die eigene Unabhängigkeit erlangt hatte.
    Auch wenn Kirill die Kasachen nicht gut kannte, so mochte er sie doch nicht besonders. Man konnte sie um absolut nichts bitten, was ihrem Land geschadet hätte. Und da die Definition von Schaden für unser Volk tendenziell eher vage war, brauchte man gar nicht weiter zu insistieren. Wenn einer diesen Fehler beging, riskierte er sein Leben, zumal wenn er Russe war. Bei Verhandlungen mit Kasachen musste man also immer Vorsicht und Zurückhaltung üben.
    Deshalb hatte sich Gavril immer von ihnen ferngehalten. Er war zwar mächtig, aber mit den multinationalen Unternehmen konnte er nicht mithalten. Die westlichen, vor allem die europäischen Großkonzerne, die den Amerikanern als Brückenkopf dienten, schlossen große Geschäfte mit der kasachischen Regierung ab, und diese betrachtete wiederum die Russen seit jeher als ihre Feinde. Das sah man sogar an der kasachischen Währung, dem Tenge. Man hatte eifrige Debatten darüber geführt, ob die Aufschrift » Bank« nicht zu russisch sei, und diese dann durch einen Ausdruck der Landessprache ersetzt.
    Selbst die Straßenschilder schienen die Russen dazu aufzufordern, das Weite zu suchen. Ein solches Straßenschild war es, das Kirills Aufmerksamkeit auf sich zog, als der Fahrer nun in eine andere Straße abbog. Plötzlich fuhr er nicht mehr in Richtung Sary Arka, zu dem Hotel, wo er mit Gabit verabredet war, sondern auf der Straße nach Osten, die aus der Stadt hinausführte. »Du fährst falsch, mein Freund!«, rief er. Der andere verzog keine Miene, und Kirill griff instinktiv nach der Pistole.
    Die Augen des Kasachen verfolgten seine Bewegungen durch den Rückspiegel. Als er die Waffe bemerkte, lächelte er: »Alles in Ordnung. Der Treffpunkt ist geändert worden.«
    Â»Ich mag es nicht, wenn man was verändert«, erwiderte Kirill trocken.
    Der Mann zuckte mit den Schultern. »Hier verändert sich alles …«
    Nach einiger Zeit bogen sie in eine Seitenstraße ab. In der Ferne erkannte Kirill eine runtergekommene Hütte, vor der zwei Kamele festgebunden waren. Als der SUV an ihnen vorbeisauste, wurden die Tiere nervös und zogen wie verrückt an ihren Ketten. Aber niemand kam, um sie zu beruhigen.
    Die Straße war voller Schlaglöcher, und obwohl der Fahrer recht geschickt war, schaffte er es nicht, allen auszuweichen. Astana lag im Nordosten Kasachstans, also in dem am dünnsten besiedelten Landesteil, und der Erhalt der Straßen gehörte für die Regierung nicht gerade zu den vorrangigsten Aufgaben.
    Sie entfernten sich immer weiter von dem belebten Zentrum, und das gefiel Kirill überhaupt nicht. Wenn die Situation eskalieren würde, hätte er sich inmitten von Häusern noch etwas einfallen lassen können, aber hier in der kasachischen Steppe konnte er nur auf seine eigenen Fähigkeiten und seine Intelligenz zählen.
    Vurdalak und Upyri. Einen Augenblick lang spürte Kirill, wie sich die beiden Dämonen in seinem Inneren wanden, wie sie kurz davor waren, sich zu befreien. Jeder Nerv, jede Faser seines Körpers schrie ihm zu, den Fahrer kaltzumachen, sich ans Steuer zu setzen und zurück zum Flughafen zu fahren, um davonzufliegen.
    Aber Kirill ließ sich nicht bezwingen. Er atmete tief durch und steckte die Pistole zurück.
    Â»Könnte ich erfahren, wohin wir fahren?«, fragte er kühl, aber nicht drohend.
    Der Fahrer sah zum wiederholten Mal in den Rückspiegel, wich einem weiteren Schlagloch aus und lächelte ihm erneut zu.
    Â»Der Befehl lautet, Sie zum Atomsee zu bringen.«

40
    London, »Maple Tree Cafe«
Samstag, 1. Januar, 9.15 Uhr
    Den gesamten Tag zuvor hatte ihr Unterleib geschmerzt, weswegen sie sogar auf den traditionellen Silvesterumtrunk am Trafalgar Square hatte verzichten müssen. Sie war kurz nach Mitternacht zu Bett gegangen, aber selbst ohne Albträume hatte ihr der Schlaf keine Linderung verschafft. Nun lag sie ausgestreckt auf einem Sofa im Maple Tree Cafe, das wie an jedem anderen Tag des Jahres geöffnet hatte, und starrte an die Decke.
    Briana baute sich mit besorgter Miene vor ihr auf. »Ich habe zwei schlechte Nachrichten für dich, Victoria.«
    Sie schnellte auf und hielt sich dabei

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