Die schwimmende Stadt
ein riesiges Gebilde?«
»Aus schwammartigen Wucherungen an großen Riffen in der Dämmerzone. Gleich Korallenbänken wachsend, treiben sie mit der Strömung davon, sobald sie eine bestimmte Größe erreicht haben. Aber auch dann sterben sie nicht ab, sondern wuchern stetig weiter. Manchmal werden sie zur einzigen Rettung Schiffbrüchiger, oft siedeln auch Nomaden auf ihnen und errichten ganze Städte, die sie irgendwann, sobald die schwimmende Insel sie an ihr Ziel gebracht hat, wieder verlassen.«
»Die Schwämme lassen sich lenken?« fragte Mythor.
Scida vollführte eine ausschweifende Bewegung.
»Sie treiben mit Wind und Wellen.
Große Schwammbänke haben zumeist einen festen Kurs – aber selbst sie können davon abweichen, wenn widrige Umstände dies begünstigen. Solche Städte werden Irrläufer genannt.«
Vor Mythor schritt die Amazone einen sanft ansteigenden Hang hinauf. Von der Kuppe des Hügels aus waren die ersten Häuser zu erkennen. Dahinter lag ein kleiner See, der im Licht der schon tief stehenden Sonne golden schimmerte. Zur Rechten erstreckte sich üppiger Pflanzenwuchs. Von dort war das leise Klingen Gläserner Bäume zu hören.
»Gibt es viele Schwimmende Städte?« wollte Mythor wissen.
Scida zuckte mit den Schultern.
»Niemand kennt ihre Zahl. Gondaha ist eine der größten und treibt auf beständigem Kurs dahin, der sie durch die Gebiete aller Zaubermütter ins Dämmerland führt und sogar die Schattenzone streifen läßt. Sie ist uralt.«
Scida wählte einen Weg zwischen den Ansiedlungen hindurch von der Küste weg. Die Häuser, an denen sie vorbeikamen, standen leer. Mit ähnlichen Worten wie vor ihr Jerka, sagte die Amazone, daß die Zahl der aus vielen Völkern stammenden Bewohnerinnen und ihrer Sklaven in letzter Zeit beträchtlich zurückgegangen sei.
»Wo auf Gondaha du auch hingehst, überall scheint eine versteckte Feindseligkeit in der Luft zu liegen. Dabei gebe ich nicht einmal Galees Schreckensherrschaft die Schuld daran. Es muß etwas anderes sein, das sich jedem Zugriff entzieht.«
»Dämonische Mächte?«
»Außerhalb der Großen Barriere?« antwortete Scida mit einer Gegenfrage. »Nein, das glaube ich nicht.«
»Und Galee – ist sie wirklich so schlimm?«
»Eine Furie, wenn sie gereizt wird. Dabei besitzt sie die Anlagen einer gemeinen Strauchdiebin. Mit Recht kannst du sie hinterhältig und gemein nennen. Wer Gondaha betritt, muß ihr Untertan sein. Wenn nicht…« Sie fuhr sich mit der Hand an die Kehle. »Nur mit Gesandten der Zaubermütter verfährt sie gnädiger und räumt ihnen Sonderstellungen ein, weil sie auf die Gnade jener Mütter angewiesen ist, deren Gebiete die Schwimmende Stadt durchquert. Allein deshalb kann ich mich frei bewegen, denn ich stehe in Zeboas Diensten.«
Beginnendes Abendrot färbte den Himmel. Die Strahlen der im Meer versinkenden Sonne geisterten über das Firmament. Ruhig lag die See – eine endlos scheinende Wasserwüste, die nirgendwo Land erkennen ließ.
Fahl stand die Sichel des Mondes am östlichen Himmel. Er war im Abnehmen begriffen und würde sein Antlitz bald ganz verbergen. Ein silberner Hof umgab ihn.
»Wir werden Regen bekommen«, stellte Scida fest. »Das war stets so, wenn die hauchdünnen Schleier sich rot färbten.«
Plötzlich erfüllte ein lauter werdendes Zischen die Luft. Tief aus dem Innern der Schwimmenden Stadt heraus schien es zu kommen, und schon Augenblicke später brach sich fauchend eine schäumende Woge Bahn und stieg steil in die Dämmerung hinauf. Es roch nach Tang und Salzwasser.
Der Ausbruch des Geysirs endete so unverhofft, wie er begonnen hatte. Pfützen, die rasch im lockeren Boden versickerten, säumten den weiteren Weg.
Die Dunkelheit brach herein. Aber der Schimmer der Sterne und des Mondes reichte aus, erkennen zu lassen, wohin man trat. Scida, die voranging, verlangsamte ihre Schritte nicht.
Der Widerschein unzähliger Fackeln wies die Richtung. Im Mittelpunkt der Insel standen die Häuser und Hütten am dichtesten.
Schon von weitem hörte man das Grölen Betrunkener.
»Sie feiern«, meinte Scida leichthin. »Vielleicht haben Galee und ihre Weiber Beute gemacht. Sie sind zügellos in ihrer Raffgier, das wirst du bald feststellen.«
Ein Schatten torkelte heran und hielt erschrocken inne, als er die Amazone und ihren Begleiter bemerkte. Es war ein Sklave. Für einen Augenblick schien er unschlüssig, wohin er sich wenden sollte, dann stolperte er auf die nächste Hütte zu, die
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