Die Schwingen des Todes
Er blieb bis zu seinem Tod unverändert.
Die Eltern liebten natürlich beide Kinder, aber der Vater, Isaak, liebte Esau mehr, weil er ihm frisches Fleisch brachte und weil Esau ausgezeichnete derech eretz, Manieren, hatte; das heißt, dass er seinem Vater Respekt zollte. Ich glaube auch, dass Isaak Esaus Jagdtalent bewunderte. Aber die Mutter, Rebecca, die eher weltlichen Dingen zugeneigt war als ihr Mann, liebte Jakob mehr. Sie bewunderte seine stille, fromme Art.«
»Klingt, als sei Jakob ein Schwächling gewesen.«
»Nein, er war nicht schwach. Seine Stärken waren nur weniger offensichtlich.«
Donatti dachte einen Moment nach. »Sie wissen, dass es nicht gut ist, ein bestimmtes Kind zu bevorzugen.«
»Da haben Sie vollkommen Recht«, stimmte Rina ihm lächelnd zu. »Darin bestand ein Teil des Problems.«
Er sah sie mit einem anzüglichen Blick an. »Wissen Sie, dass Sie ein wunderschönes Lächeln haben, Rina?«
Rina ignorierte ihn. »Unter den Brüdern herrschte große Rivalität, die schließlich offen ausbrach. Sie hatten eine heftige Auseinandersetzung, und Jakob musste vor Esaus Wut fliehen.«
»Ich hab doch gleich gesagt, dass Jakob ein Schwächling war. Was ist passiert?«
»Zuerst betrog Jakob seinen Bruder um das Geburtsrecht, indem er seinen Vater überredete, ihm den ersten Segen zu geben den Segen, der dem ältesten Sohn, Esau, zustand. Nach dem Erstgeborenenrecht sollte der Ältere die Herrschaft über den Jüngeren haben. Aber Rebecca, die Mutter, glaubte, Jakob solle den Segen bekommen. Durch ihre List und Täuschung willigte Isaak ein, Jakob zuerst den Segen zu erteilen, um somit dem Jüngeren, Jakob, die Herrschaft über den Älteren, Esau, zu geben.«
»Wie hat sie ihn dazu gebracht?«
»Wie bei allen Mythen geht etwas durch die Überlieferung verloren. Lesen Sie in der Bibel nach, wenn Sie neugierig sind. Aber diese Geschichte hat einen tieferen Sinn - wie alles in der Bibel. Esau verdiente den Segen nicht. Nicht weil er ein Jäger, ein Mörder mit Blut an den Händen war. Esau verdiente den Segen nicht, weil er ein Ehebrecher war - er nahm sich die Frauen anderer Männer. Ich spreche nicht für Gott, Mr. Donatti, aber in meiner Religion ist es etwas Abscheuliches, sich eine verheiratete Frau zu nehmen.
Ich weiß nicht, wie Sie zu meinem Mann stehen, und vielleicht wollen Sie Rache. Ich hoffe es zwar nicht, aber ich kann Sie nicht davon abhalten, wenn Sie dazu entschlossen sind. Aber ich will Ihnen das Eine sagen: Wenn Sie mich jemals auch nur anrühren, dann garantiere ich Ihnen, dass Sie und alles, was Ihnen lieb und teuer ist, von Gott, von Satan und jedem toten und lebenden Geschöpf im Universum verflucht werden. Nicht n ur in diesem Leben, sondern in jedem späteren auch.« Sie schaute ihn hasserfüllt an. »In alle Ewigkeit, Mr. Donatti. Mit anderen Worten: für immer! «
Das Schweigen hing für ein paar Augenblicke in der Luft. Dann zwang sich Donatti zu einem Lachen. »Und jetzt soll ich nervös werden, oder was?«
»Es ist eine faire Warnung. Und außerdem werden Sie rot.«
Unwillkürlich wandte Donatti seinen Blick ab. Als er es bemerkte, starrte er sie wieder an. »Was passierte also mit Jakob?«
»Was mit ihm passierte?«
»Sie sagten, er hätte vor Esau fliehen müssen. Wenn ich Esau wäre und jemand hätte mich bestohlen, dann würde ich alles daran setzen, den Dreckskerl zu erwischen.«
»Die beiden trafen sich wieder, Mr. Donatti. Und Jakob hatte große Angst vor seinem Bruder. Schreckliche Angst, nicht nur, weil dieser seinen Besitz, sondern auch seine Frauen und Kinder gestohlen hatte. Besonders seine Frau Rachel, denn sie war sehr schön. Wie ich bereits sagte, Esau brüstete sich damit, verheiratete Frauen zu rauben. Als abzusehen war, dass sich die Wege der beiden Männer kreuzen würden, überlegte sich Jakob sehr genau, wie er mit seinem rachsüchtigen Bruder umgehen sollte. Aber schließlich, so steht es geschrieben, weinte Esau vor Ergriffenheit, umarmte seinen Bruder und küsste ihn auf den Hals.
»Esau vergab Jakob also?« »So sieht es aus.«
»Dann war Esau ja auch ein Schwächling!« Donatti rümpfte verächtlich die Nase. »Jemand sollte das Ende umschreiben.«
Rina lächelte. »Dann sollte ich Ihnen vielleicht Folgendes erzählen. Nach außen hin fand zwar eine Art Versöhnung statt, aber jüdische Rabbis und Gelehrte sind unterschiedlicher Meinung darüber. Sie sagen, als Esau Jakob auf den Hals küsste, habe er eigentlich vorgehabt, ihn zu
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