Die Séance
auf mein Grab gelegt. Weißt du denn nicht mehr? Auf dem Friedhof. Du hast deinen Großvater gesehen. Er sprach zu dir. Und dann hast du eine Blume auf mein Grab gelegt.”
Sie schüttelte den Kopf. “Ich hab meinen Großvater, nachdem er gestorben ist, nie mehr gesehen.”
Beau seufzte. “Aber natürlich hast du das.”
“Bitte, ich flehe dich an, geh weg”, heulte sie.
Er wirkte matt. “Aber ich brauche deine Hilfe”, konnte er nur wispern.
“Ich werde jetzt meine Augen schließen, und du wirst verschwinden. Wenn ich meine Augen wieder öffne, bist du nicht mehr da”, sagte Christina und schloss die Augen ganz fest.
Sie öffnete sie wieder.
Und zu ihrer Verblüffung war er wirklich weg.
Sie schluckte und stand auf, lehnte sich an die Wand. Sie hatte Angst, sich wieder von der Wand zu entfernen. Angst, sie könne sofort wieder zu Boden sinken und ohnmächtig werden, wenn sie versuchte, ohne Halt stehen zu bleiben.
Killer war noch da, blickte zu ihr auf mit seinen vertrauensvollen braunen Augen. Er bellte kurz, wimmerte und kam näher.
“Na toll, Killer”, sagte sie zu dem Hund, “du hast ihn nicht mal angebellt. Du hast dich mit … dem Feind angefreundet”, sagte sie. “Nein, nicht dem Feind. Dem Kerl, der überhaupt nicht da gewesen ist. Du sollst mich doch beschützen”, schimpfte sie.
Aber konnte irgendjemand oder irgendetwas sie vor sich selbst schützen?
Sie sah auf ihre Uhr. Halb zwölf. Aber sie wollte nicht allein sein.
“Komm mit, wir gehen wieder hoch”, sagte sie zu Killer. Brauchte sie gar nicht. Er folgte ihr von allein, wartete dann auf ihrem Bett, während sie sich im Bad das Gesicht wusch, ein dunkelblaues Strickkleid anzog und in ihre Sandalen schlüpfte. Sie griff nach ihrer Tasche und überzeugte sich, dass sie ihr Handy dabeihatte. Plötzlich merkte sie, dass der Fernseher noch lief.
Hatte sie ihn angelassen?
Sie wusste es nicht, und es interessierte sie auch nicht. Jetzt nicht mehr. Es war eine erwiesene Tatsache. Sie war verrückt geworden, was sie dazu brachte, sich einzubilden, sie hätte den Geist von Beau Kidd gesehen. Sie konnte es jetzt nicht mehr abstreiten.
Ihre Hand lag auf der Fernbedienung, aber sie zögerte. Eine Nachrichtensprecherin berichtete über eine Warnung der Polizei an Frauen – besonders junge Rothaarige –, niemals allein unterwegs zu sein und sich von Fremden fernzuhalten.
Sie schaltete den Fernseher aus. “Ich habe jetzt einen Hund”, sagte sie schwächlich zu dem dunklen Schirm, dann stieg sie wieder die Treppe hinunter. Sie hatte gerade die Haustür erreicht und wollte nach der Klinke greifen, als Killer zu bellen begann.
Christina schrie auf.
Da war jemand, direkt vor ihrer Haustür.
Nachts um halb zwölf liefen keine guten Spiele mehr live. Machte auch nichts. Michael McDuff war ganz zufrieden, auf einem Barhocker im O’Reilly’s zu sitzen und sich auf einem Sportkanal Zusammenfassungen anzusehen. Schon seine halbe Verwandtschaft war über die Jahre hierhergekommen, und ein Mann musste nicht jede Nacht schwer trinken, um ein Anrecht auf einen Barhocker zu haben. Er war bei seinem dritten Guinness, ein dicker Fehler, in Anbetracht der Tatsache, dass er gleich morgen früh eine wichtige Besprechung hatte.
“Na, Hübscher, meinst du nicht, dass du mal was Festes in den Magen kriegen solltest?”
Er drehte sich um. Mary Donahue stand vor ihm, mit ihren leuchtenden Augen, dem fröhlichen Lächeln und ihrem ungebändigten karottenroten Haar. Er lächelte. “Da hast du recht, Mary. Wahrscheinlich sollte ich wirklich mal etwas essen.”
“Gute Idee, was darf’s sein?”
“Shepherd’s Pie, nehme ich an.”
Mary legte den Kopf schräg und sah ihn an. “Letztens war so ‘ne junge Lady hier, die bestellte genau dasselbe, und gerade ist mir aufgefallen, dass ihr zwei euch irgendwie ähnlich seht.”
Er lachte. “Das muss Christina gewesen sein. Meine Kusine.”
“Ach ja, ich wusste doch, du hast eine große Familie. Ich selber bin ja noch nicht so lange hier, aber O’Reilly erzählte so was.”
“So groß ist die Familie nicht mehr. Alle tot außer mir, meinem Bruder – Dan, das ist derjenige von uns, der echt Charme hat – und meiner Kusine Christie. Sie ist gerade in die Gegend gezogen und wohnt jetzt auf dem alten Familienanwesen.”
“Nett. Gut, eine Familie zu haben”, sagte Mary.
“Was ist denn mit dir?”
“Meine ganze Familie ist noch drüben, jenseits des guten alten Atlantiks”, sagte sie
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