Die See des Schicksaals
entgegnete Elric. »Was mich angeht, so habe ich das Mädchen in meine Obhut genommen und kann mir als Herrscher Melnibones solche Einschüchterung nicht gefallen lassen.«
Obwohl sie sich nur leise verständigten, hatte Graf Saxif D'Aan einige Worte mitbekommen.
»Ich muß euch mitteilen«, sagte er in der Volkssprache, »daß das Mädchen mir gehört. Ihr raubt sie mir. Ist das die Art eines Herrschers?«
»Sie ist keine Sklavin«, stellte Elric fest, »sondern die Tochter eines freien Kaufmanns aus Jharkor. Du hast ihr gegenüber keine Rechte.«
»Dann kann ich euch das Rote Tor nicht öffnen«, sagte Graf Saxif D'Aan. »Ihr müßt für immer in meiner Welt bleiben.«
»Du hast das Tor geschlossen? Ist denn das möglich?«
»Mir schon.«
»Ist dir bekannt, daß das Mädchen lieber sterben würde, als sich von dir erneut gefangennehmen zu lassen, Graf Saxif D'Aan? Bereitet es dir Vergnügen, solche Angstgefühle in einer Frau zu erwecken?«
Der goldgekleidete Mann sah Elric direkt in die Augen, als wolle er ihn auf geheimnisvolle Weise herausfordern. »Die Gabe des Schmerzes ist in unserem Volk seit jeher sehr beliebt, nicht wahr? Dabei biete ich ihr etwas ganz anderes. Sie nennt sich Vassliss aus Jharkor, doch sie kennt sich gar nicht. Dafür kenne ich sie. Sie ist Gratyesha, Prinzessin von Fwem-Omeyo, und ich will sie zu meiner Braut machen.«
»Wie ist es möglich, daß sie nicht einmal den eigenen Namen weiß?«
»Sie ist eine Reinkarnation - Seele und Fleisch sind identisch - daher weiß ich es. Und ich habe viele Jahre auf sie gewartet, Herrscher von Melnibone. Jetzt lasse ich sie mir nicht mehr nehmen!«
»So wie du dir vor zweihundert Jahren in Melnibone selbst etwas genommen hast?«
»Mit deiner direkten Sprache gehst du ein großes Risiko ein, Brudermonarch!« In Saxif D'Aans Ton lag eine Warnung, eine ernsthaftere Warnung, als die Worte selbst erkennen ließen.
»Nun...« - Elric zuckte die Achseln -, »du bist mächtiger als wir. Meine Zauberkräfte vermögen in deiner Welt kaum etwas auszurichten. Deine Räuberbande ist uns zahlenmäßig überlegen. Es dürfte dir nicht schwer fallen, sie uns abzunehmen.«
»Du mußt sie mir geben. Dann kannst du unbehelligt abziehen und in deine Welt und deine Zeit zurückkehren.«
Elric lächelte. »Hier geht es um Zauberkräfte. Sie ist keine Reinkarnation. Du möchtest die Seele deiner verlorenen Liebe aus der Unterwelt holen, damit sie den Körper dieses Mädchens bewohnt. Habe ich nicht recht? Deshalb muß sie dir freiwillig überlassen werden, sonst würde - oder könnte - deine Zauberei auf dich zurückwirken, und das Risiko willst du nicht eingehen.«
Graf Saxif D'Aan wandte den Kopf ab, damit Elric seine Augen nicht sah. »Sie ist das Mädchen«, sagte er in der Hochsprache. »Ich weiß, daß sie es ist. Ihrer Seele soll nichts geschehen. Ich würde ihr nur das Gedächtnis zurückgeben.«
»Dann steht die Partie also unentschieden«, stellte Elric fest.
»Empfindest du keine Loyalität gegenüber einem Bruder von königlichem Geblüt?« murmelte Saxif D'Aan und blickte Elric immer noch nicht an.
»Soweit ich mich erinnere, hast du dich einer solchen Loyalität nicht verschrieben, Graf Saxif D'Aan. Wenn du mich als deinen Herrscher anerkennst, mußt du auch meine Entscheidungen hinnehmen. Das Mädchen bleibt in meiner Obhut. Oder du mußt sie dir gewaltsam nehmen.«
»Ich bin zu stolz.«
»Solcher Stolz wird keine Liebe zerstören«, sagte Elric beinahe mitfühlend. »Was nun, König des Nirgendwo? Was willst du mit uns anfangen?«
Graf Saxif D'Aan hob den Kopf und wollte eben antworten, als im Laderaum das Stampfen und Schnauben wieder begann. Er riß die Augen auf. Er musterte Elric mit fragendem Blick, und auf seinem Gesicht stand so etwas wie Entsetzen.
»Was ist das? Was hast du im Laderaum?«
»Ein Reittier, Herr, mehr nicht«, antwortete Elric gelassen.
»Ein Pferd? Ein gewöhnliches Pferd?«
»Einen Schimmel. Einen Hengst mit Zügel und Sattel. Er hat keinen Reiter.«
Sofort hob Saxif D'Aan die Stimme. »Bringt die drei zu uns an Bord!« rief er seinen Männern zu.
»Dieses Schiff soll sofort versenkt werden. Schnell! Schnell!«
Elric und Smiorgan schüttelten die Hände ab, die sie zu packen versuchten, und gingen allein zur Gangway, das Mädchen zwischen sich, während Smiorgan vor sich hin brummte: »Wenigstens werden wir nicht umgebracht, Elric. Aber was soll nun aus uns werden?«
Elric schüttelte den Kopf. »Wir
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