Die Seele der Elben
wiederholen«, sagte ich â immer noch mit leichtem Magengrummeln.
»Ich komme mit euch«, erwiderte er. »Es sollte mir möglich sein, für diesen Ausflug einige meiner besten Augen zu verpflichten. Ich denke, dass ich kurzfristig drei oder vier davon gleichzeitig verarbeiten kann â auch wenn ich das schon lange nicht mehr getan habe und ein bisschen aus der Ãbung bin.« Er lächelte, als hätte er meine Verblüffung gespürt. »Du hältst mich für einen verstaubten und verknöcherten Bücherwurm, nicht wahr, Bruder Schreiber? Aber ich war in meinen jungen Jahren nicht weniger abenteuerlustig als du.«
Ich schluckte schwer an diesem Brocken. Maris Elbenstern, der mir immer als ein Fels, ein wahres Marmorbild eines Elben erschienen war â dieses Standbild hatte in der letzten Zeit direkt vor meinen erstaunten Augen doch einige erstaunliche Risse bekommen. Nicht, dass sie ihm schlecht zu Gesicht standen!
»Maris, alter Freund«, sagte ich, »was ist mit dir geschehen? Du erschreckst mich bis auf die Knochen.«
»Ich hoffe, dass du es überlebst, alter Freund. Ich muss zugeben, ich fühle mich so jung wie schon lange nicht mehr. Es ist, als wäre mir ein neues Leben geschenkt worden.«
Er erklärte nicht, wie er das meinte, aber die Auswirkungen waren jedenfalls deutlich zu sehen.
»Dann sage ich Ranvidar also, dass du mitkommst.«
Er nickte, und ich konnte ihm ansehen, dass er mit seinen Gedanken schon wieder ganz weit fort war. Er lächelte in sich hinein, und seine Finger spielten mit einer Rosenknospe, die er aus einer Schale auf dem Tisch genommen hatte.
Mit einem Mal ging mir ein Licht auf. Ich schüttelte den Kopf, ärgerlich und erstaunt über meine eigene Blindheit.
»Wer ist sie?«, platzte ich heraus.
Er wandte mir das Gesicht zu, keineswegs überrascht und ganz offensichtlich auch nicht unangenehm berührt. Wie es aussah, hatte ich den Nagel mitten auf den Kopf getroffen.
»Was meinst du?«, fragte er.
Ich lachte. »Maris, du bist der schlechteste Schauspieler weit und breit. Also lass das Theater. Du weiÃt, dass ich nichts herumtratsche. Und verzeih mir meine unverblümte Frage â aber wir sind schon so lange gute Freunde, dass ich glaubte, mir sie erlauben zu dürfen.« Ich wartete, sicher, dass er mir nun einen Namen liefern würde und die Geschichte dazu. Sie musste eine der Verlobungsgäste sein. Im Geiste ging ich durch, mit wem wir in den letzten Tagen zusammengetroffen waren, aber niemand wollte so recht passen. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, warum. Es waren keine Elbinnen darunter, bis auf die Tochter des Herrn von Wasserberg und ihre Anstandsdame. Ich konnte mir weder vorstellen, dass Maris sich in die hochnäsige Chaantrea verliebt hatte, noch in ihre â man möge mir verzeihen â doch eher zickige Begleiterin.
So weit war ich in meinen Gedanken gediehen, bis mir auffiel, dass Maris eisern schwieg, statt verliebt herauszusprudeln.
Ich hob den Blick und sah ihn an, aber er hatte das Gesicht abgewandt und spielte wieder mit der Rosenknospe. Ganz offensichtlich war er nicht bereit, meine Frage zu beantworten. Das verblüffte mich, denn so, wie ich Maris kennengelernt hatte, gab er wenig bis gar nichts auf irgendwelche Regeln oder Konventionen â nicht, weil er sie bewusst missachten wollte, sondern weil er ihre oft nur kurzlebige Existenz gar nicht registrierte. Sein Schweigen lieà mich allerdings vermuten, dass eine Frau seine Beachtung gefunden hatte, die bereits anderweitig gebunden war.
Meine Gedanken überschlugen sich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er in Liebe zu einer der Damen an Wighers Hof entbrannt war. Maris gab nichts auf kunstvolle Frisuren und geziertes Gehabe â und all diese bunten Schmetterlinge hier schienen aus nichts anderem zu bestehen. So ein buntes Flatterding ohne einen Funken Verstand an Maris Elbensterns Seite â nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Oder?
Ich musterte ihn eingehend. Er lächelte versunken. »Maris, alter Freund«, sagte ich vorsichtig, »bist du sicher, dass du keinen Fehler machst?«
Er hörte nicht auf zu lächeln, schüttelte nur den Kopf.
»Die Frauen hier am Hof â¦Â« Ich war um Worte verlegen.
Er machte dieses freundliche, aufmerksame Gesicht, dem man immer dann begegnet, wenn das Gegenüber nicht zuhören möchte. »Ja?«, fragte
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