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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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ärgern. Aber was kann man der Unruhe des Forschergeists entgegensetzen, die einen stetig antreibt?«
    Am Rand des Dorfplatzes blieben Tahâma und Céredas abermals stehen. Das Mädchen sog hörbar die Luft ein.
    »Was ist?« Wurgluck schob sich zwischen den langen Beinen durch und sah ebenfalls zum Brunnen hinüber. Es war nur ein alter Hund, dessen Kadaver die Fliegen umschwirrten, und doch nahm er diesem Dorfplatz die Heiterkeit. Der Erdgnom trat auf den toten Hund zu und betrachtete ihn aufmerksam. »Zwei Tage«, sagte er, »höchstens drei.«
    Die Freunde sahen sich an. »Sollen wir die Häuser durchsuchen?«, fragte Tahâma leise, und ihre Stimme zitterte, aber Wurgluck lief eilig über den Platz und verschwand zwischen den gegenüberliegenden Häusern. Céredas und Tahâma folgten ihm.
    »Wo willst du hin?«, fragte der Jäger.
    Der Erdgnom gab ihm keine Antwort, bis er sein Ziel erreicht hatte und am Rand eines Gräberfeldes stehen blieb. Mehr als zwei Dutzend Hügel reihten sich nebeneinander, manche noch mit welkenden Blumen geschmückt. »Wie ich es mir dachte. Der Tod ist in diesem Dorf kein Unbekannter. Seht ihr, die drei Hügel dort hinten sind eingeebnet, die Gräber also schon viele Monate, vielleicht Jahre alt. All die anderen aber, die hier vergraben sind, haben vor wenigen Wochen noch gelebt!«
    Tahâma kniete nieder, legte die Handflächen aneinander und summte eine Melodie. Die Augen geschlossen, verharrte sie reglos.
    Céredas trat an das erste Grab und schob mit der Schuhspitze einen Klumpen Erde zur Seite. »Vielleicht hat hier im Dorf eine Krankheit gewütet und die Bewohner dahingerafft? Dann sollten wir schnell weiterziehen. Wir wissen ja nicht, ob die Seuche vorbei ist. Ich habe von unseren Ältesten gehört, dass vor vielen Jahren im Land der roten Türme ganze Stämme in nur wenigen Tagen ausgelöscht wurden.«
    Wurgluck wiegte den Kopf hin und her. »Kann sein, kann aber auch nicht sein. Ich denke, wir sollten einen Blick in die Häuser werfen.«
    »Keine Krankheit hat sie hinweggerafft, kein Siechtum hat sie befallen und gequält«, erklang Tahâmas flüsternde Stimme hinter ihnen. Noch immer kniete sie im Gras, die Lider fest geschlossen. »Der Schatten kam über sie. Grausame Gestalten zogen unter seinen Flügeln heran. Angst und Schrecken haben ihnen ihre Geschichte gestohlen.«
    »Was redest du da?«, herrschte Céredas sie an und griff nach ihrem Arm. Tahâma schreckte hoch und öffnete die Augen. Ihr Blick kam aus weiter Ferne zurück. Verwirrt sah sie zu dem Jäger hoch. »Woher willst du das wissen?«, fügte er hinzu und sah sie durchdringend an.
    Langsam zog sie ihren Arm zurück und stand auf. »Ich weiß es nicht, und doch habe ich es gesehen. Ich war nicht dabei, und dennoch fühle ich es.« Sie hob eine Hand und deutete auf das Hügelfeld. »Das sind keine Gräber. Leere Särge haben sie verscharrt, denn keiner kann sagen, wo ihre Toten geblieben sind.«
    »Hirngespinste!« Céredas stieß einen ärgerlichen Laut aus und wandte sich von ihr ab. Mit festem Schritt stapfte er ins Dorf zurück.
    Wurgluck tätschelte Tahâmas Hand und lächelte zu ihr hoch. »Komm mit, mein Kind.«
    Sie gingen auf das erste Haus zu und fanden die Tür angelehnt. Drinnen war es düster, und es roch ein wenig modrig, aber sie entdeckten nichts, was ängstlichen Befürchtungen Nahrung gegeben hätte. Auch das nächste Haus lag still und friedlich da.
    »Seht her«, sagte Céredas, als sie wieder ins Freie traten, und deutete auf die frischgrün gestrichenen Fensterrahmen und die sorgsam verputzten Flechtwände. »Das Dorf ist kaum ein paar Jahre alt. All diese Häuser wurden vor nicht allzu langer Zeit errichtet.«
    Wurgluck nickte. »Das glaube ich auch. Ich weiß ja nicht, wie schnell die große Schlucht nach Süden wandert, aber vielleicht stehen wir hier auf Boden, den es in Nazagur vor ein paar Jahren noch gar nicht gab. Möglich, dass Siedler aus dem Norden gekommen sind, um das neue Land zu bestellen, oder Fremde aus dem Süden.«
    »Fremde«, flüsterte Tahâma, »wie die Tashan Gonar.«
    Wurgluck sah sich um. »Ich glaube nicht, dass hier Blauschöpfe gewohnt haben, oder konntest du Zeichen deines Volkes entdecken?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Zwar lieben die Tashan Gonar Windräder, aber sie hätten sie aus bunten Glasscherben gefertigt oder mit Kristallsplittern geschmückt, statt nur farbiges Pergament aufzuspannen. In den Häusern wären Instrumente und Klangspiele. Auch konnte

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