Die Seele des Feuers - 10
ich erfuhr, daß ich dich aufsuchen muß, warst du nicht hier.« Sie gestikulierte über ihre Schulter. »Du warst viel, viel weiter nordöstlich.«
»Warum kommst du dann hierher, um mich zu finden, wenn du mich viel weiter nordöstlich in Aydindril spürst?«
»Als mein Gespür für dich immer mehr nachließ, wurde mir klar, dies bedeutet Ärger. Meine Visionen sagten mir, ich muß dich aufsuchen, bevor ich dich ganz verliere. Wäre ich dorthin gereist, wo ich dich bei meinem Aufbruch wußte, wärst du bei meiner Ankunft nicht mehr dort gewesen. Stattdessen zog ich meine Visionen zu Rate, solange ich sie noch hatte, und reiste zu jener Stelle, wo du sein würdest.
Gegen Ende der Reise spürte ich, daß du inzwischen hier angekommen warst. Kurz darauf konnte ich dich nicht mehr spüren. Wir waren noch immer ein beträchtliches Stück entfernt, daher konnten wir nichts weiter tun, als unseren Weg in dieser Richtung fortzusetzen. Die Guten Seelen erhörten meine Gebete und ließen zu, daß unsere Wege sich kreuzten.«
»Es freut mich, daß die Guten Seelen dir geholfen haben, Du Chaillu. Du bist ein guter Mensch und hast ihre Hilfe verdient.«
Sie zupfte abermals verlegen an der Decke. »Aber mein Gemahl glaubt nicht an meine Visionen.«
Richard benetzte seine Lippen. »Früher hat mich mein Vater stets davor gewarnt, Pilze zu essen, die ich im Wald gefunden hatte. Meist sagte er dann, er sehe schon vor seinem inneren Auge, wie ich einen giftigen Pilz esse, woraufhin mir erst schlecht werden und ich schließlich sterben würde. Damit meinte er nicht, er konnte tatsächlich sehen, wie es passiert, sondern daß er Angst um mich hatte. Er wollte mich vor den Folgen warnen, wenn ich unbekannte Pilze esse.«
»Ich verstehe«, sagte sie mit einem verhaltenen Lächeln.
»War es denn eine echte Vision? Vielleicht war es bloß eine Vision von etwas, das geschehen könnte, das aber von den Göttinnen des Schicksals noch nicht endgültig festgelegt ist. Könnte doch sein, daß deine zu dieser Art Visionen gehörte.«
Richard ergriff ihre Hand. »Du Chaillu«, bat er sie freundlich, »erzählst du mir jetzt, weshalb du zu mir gekommen bist?«
Ehrfurchtsvoll glättete sie die bunten Stoffstreifen an ihrem Arm, als wollte sie sich der Gebete erinnern, die ihr Volk ihr mitgegeben hatte. Sie war eine Frau, die die Last der Verantwortung voller Tatkraft, Mut und Würde auf sich nahm.
»Die Baka Tau Mana freuen sich, nach vielen Generationen fernab des Ortes unseres Herzens in ihrer Heimat leben zu können. Unser Heimatland ist genau so, wie es uns in den alten Texten überliefert wurde. Der Boden ist fruchtbar, das Wetter günstig. Es ist ein guter Ort, um unsere Kinder großzuziehen. Ein Ort, an dem wir frei sein können. Unsere Herzen sind erfüllt von Freude, dort leben zu können.
Was du uns zum Geschenk gemacht hast, Caharin, sollte jedem Volk vergönnt sein. Jedes Volk sollte in Sicherheit so leben können, wie es ihm beliebt.«
Ein Ausdruck erschreckenden Kummers fiel wie ein Schatten über ihr Gesicht. »Ihr könnt das nicht. Du und dein Volk aus diesem Land in der Neuen Welt, von dem du mir erzählt hast, ihr lebt nicht in Sicherheit. Eine gewaltige Armee ist im Anmarsch.«
»Jagang«, entfuhr es Richard. »Hattest du eine Vision von dieser Armee?«
»Nein, mein Gemahl. Wir haben sie mit eigenen Augen gesehen. Ich schämte mich, dir davon zu erzählen, weil wir solche Angst vor ihr hatten und ich unsere Angst nicht zugeben wollte.
Damals, als ich an die Mauer gekettet war und wußte, die Majendie könnten jeden Tag kommen und mich opfern, hatte ich nicht so große Angst, denn damals war nur ich es, die sterben würde, nicht mein ganzes Volk. Mein Volk war stark und würde eine neue Seelenfrau ernennen, die meinen Platz einnehmen würde. Sie würden die Majendie zurückschlagen, sollten sie in das Sumpfland eindringen. Ich wäre in dem Wissen gestorben, daß die Baka Ban Mana weiterbestehen würden.
Wir üben jeden Tag mit unseren Waffen, damit niemand kommen und uns vernichten kann. Wir stehen bereit, wie es in den alten Gesetzen heißt, um gegen jeden, der uns angreift, zu kämpfen, als ginge es um unser Leben. Niemand außer dem Caharin würde es wagen, es mit einem unserer Meister der Klinge aufzunehmen.
Doch so gut unsere Meister der Klinge auch sein mögen, gegen eine solche Armee können sie nicht kämpfen. Wenn sie ihr Augenmerk schließlich auf uns richten, werden wir gegen diesen Gegner nichts
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