Die Seele des Königs (German Edition)
Ausschau halten müssen, aber er hatte nicht erwartet, dass man ihm so schnell nachsetzen würde. Er hatte vorgehabt, noch eine Weile auf der Straße zu reisen und seinen Verfolgern dadurch die Gewissheit zu verschaffen, dass er wirklich nach Norden unterwegs war. Er hatte geplant, schließlich eine andere Richtung einzuschlagen. Vermutlich befand er sich schon zu lange auf dieser Straße; er hatte keine Erfahrung mit solchen Situationen.
» Gibt es eine Möglichkeit, zu dieser Ewiglichen zu gelangen, indem wir quer durch das Land reisen?«, fragte er.
» Zu Saydhi? Ja, das könnte gehen. Das ist vielleicht sogar eine sehr gute Idee.«
» Dann sollten wir uns auf den Weg machen«, sagte er und erhob sich vorsichtig.
» Ich vermute, ich soll vorausgehen?«
Siris nickte. » Und du führst dieses Ungeheuer an der Leine.«
Sie gehorchte und marschierte los; das Pferd zog sie hinter sich her. Abseits der Straße war das Fortkommen viel schwieriger. Doch die Möglichkeit, den größten Teil der Ausrüstung auf das Tier zu laden, führte dazu, dass Siris sich viel leichter bewegen konnte, auch wenn das Gelände anstrengender war. Bald genoss er den Marsch sogar, vor allem da das Wetter etwas kühler wurde.
Während der nächsten Tage stieg der Boden leicht an, und die zerklüftete Landschaft aus Felsen und Klippen machte grünen Wiesen Platz. Isa kannte einen wenig benutzten Pass durch die Berge, und als sie höher stiegen, kamen sie an Dickichten aus dünnen, riedartigen Gewächsen vorbei.
Es war Bambus, wie Siris erkannte. Er hatte in Drems Rachen schon Gegenstände bewundert, die daraus hergestellt waren, aber die Pflanze selbst hatte er noch nie gesehen. Es erschien ihm unglaublich, dass sich die Vegetation nach einer Wanderung von einer oder zwei Wochen so sehr verändern konnte. Isa versuchte es ihm zu erklären und sagte etwas von einem » Regenschatten« in den Bergen, was immer das bedeutete.
Er behielt sie im Auge und fesselte sie jede Nacht. Sie fügte sich wortlos, auch wenn ihre Handgelenke allmählich wundgescheuert waren, und immer wenn sie morgens aufstand, war sie von der unbequemen Nacht steif und verkrampft. Wenn es möglich war, band er sie an einem Baum fest. Das schien etwas bequemer für sie zu sein.
Sie redeten nicht viel miteinander – nicht annähernd so viel wie am ersten Tag, als er ihr noch ein wenig vertraut hatte. Siris versuchte die Zeit damit zu verbringen, über das nachzudenken, was er unternehmen sollte. Doch leider dachte er die meiste Zeit an all das, was er seiner Liste hinzufügen wollte. Und das lenkte ihn stark ab.
Also beschloss er, einige dieser Dinge zu tun. Isa sah ihm eines Abends verblüfft zu, wie er eine Seilschaukel baute, sie an einen Ast hängte und dann darauf schaukelte.
» Das ist doch Kinderkram«, sagte sie.
» Ach ja?«, meinte er. » Sind Kinder die Einzigen, die Spaß haben dürfen?«
Seine Erwiderung schien sie zutiefst zu verwirren. Später am Abend nahm er die Schaukel auseinander und benutzte das Seil, um sie damit zu fesseln. Dann schrieb er in sein Buch, dass Schaukeln eines der Dinge war, die er eindeutig genoss.
Sie setzten ihre Reise fort. Isa bewies ihre Fähigkeiten bei mehr als einer Gelegenheit. Stets fand sie frisches Wasser für ihr Lager, auch wenn er es als unmöglich angesehen hätte. Er versuchte herauszufinden, wie sie das schaffte, und lernte mit großer Befriedigung, gute Lagerplätze zu entdecken.
Einige Male ging sie voraus, kam dann zurück und führte sie in eine andere Richtung. Anscheinend war dieses Hochland von einer großen Zahl freier Teufler bevölkert, die in Banden durch die Gegend streiften. Er sah sie nie, aber er und Isa kamen bisweilen an alten Lagern und den Überresten einer gelegentlichen Karawane vorbei und erspähten Skelette in den versengten, ausgebrannten Trümmern.
Als sie einen solchen Ort gerade verließen, wunderte sich Siris wieder einmal über Isas Beweggründe. War all das – die Sorgfalt, mit der sie stets ihren Lagerplatz aussuchte und das Bemühen, ihn vor marodierenden Teuflern zu schützen – nur Schau? So wie es ihr Lachen und ihre spröde Freundlichkeit am ersten Tag gewesen waren? Könnte das alles ein Versuch sein, ihn von seiner Vorsicht abzubringen?
Würde er eines Abends schlafen gehen und nie wieder aufwachen, weil er von einem versteckten Dolch getötet worden war?
Jede Nacht zog er die Seile fest und hasste sich deswegen. Doch es war besser, sich selbst zu hassen, als durch
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