Die Seele heilen
versichern: »Ich denke nicht, dass du zurzeit gefährdet bist.« Wenn aber jemand ernsthaft befürchtet, depressiv zu sein, oder Sie den Eindruck haben, Ihr Gesprächspartner sei depressiv, sollten Sie ihn zu einem Arzt oder Psychotherapeuten schicken (siehe dazu auch den Abschnitt » Erste Hilfe in der Akutphase «).
Sie werden auch auf Menschen treffen, die es wahrscheinlich gut meinen, aber gedankenlos demotivierende Schauergeschichten von sich geben.
Hören Sie nicht auf Schauergeschichten
Dieses Verhalten trifft man bei jeder Krankheit an. Denn jeder kennt irgendjemanden, bei dem sich die gleiche Krankheit noch viel schlimmer ausgewirkt hat. Solche Geschichten machen nicht gerade Mut, wenn man frisch genesen und voller Hoffnung ist, dass nun alles wieder gut wird.
Auch nach einer Depression werden Sie vermutlich auf gedankenlose Zeitgenossen treffen: An meinem ersten Arbeitstag nach meiner wochenlangen Krankschreibung begrüßte mich ein Kollege erfreut und teilte mir dann mit, sein Cousin, auch ein Lehrer, habe vor einiger Zeit ebenfalls eine Depression gehabt und sei als geheilt aus der Klinik entlassen worden. Er habe sich dann voller Eifer auf die Arbeit gestürzt und alle seine Unterlagen neu überarbeitet. Dann sei aber ein neuer depressiver Schub aufgetreten, von dem er sich nie erholte, sodass er seine Lehrtätigkeit aufgeben musste. Und diese Geschichte bekam ich zu hören, bevor ich die erste Schulstunde nach meiner Krankheit halten wollte!
Schotten Sie sich von solchen Schauergeschichten ab. Aus ihnen spricht Sensationsgier und Wichtigtuerei. Oder wenn die Schauergeschichten von Personen handeln, die dem Erzähler nahestehen, spricht aus ihnen Betroffenheit. In beiden Fällen hat das alles nichts mit Ihnen zu tun.
Was noch passieren kann
Ich hatte Glück, meine Familie sowie viele Bekannte und Freunde unterstützten mich während meiner Krankheit. Hätte man mich vor meiner Krankheit gefragt, wer unserer Bekannten und Familienmitglieder uns in einer Krankheitssituation helfen würde, dann wären mir ein paar Namen eingefallen. Und einige dieser Menschen standen uns dann auch tatsächlich auf ihre Art liebevoll bei. Ihnen bin ich heute noch sehr dankbar und die Beziehung zu ihnen hat eine neue Qualität bekommen, da ich erfahren habe, dass sie uns auch in schwierigen Situationen zur Seite stehen. Und es gab auch welche, von denen ich keine Hilfe erwartet hätte, die aber trotzdem da waren. Aber manche von den Menschen, bei denen ich darauf geschworen hätte, dass sie zur Stelle sein würden, blieben aus, als wir sie gebraucht hätten. Wie sollte ich mich ihnen gegenüber verhalten?
Geben Sie eine zweite Chance
Natürlich war ich enttäuscht. Und eine Weile spielte ich auch mit dem Gedanken, den Kontakt abreißen zu lassen. Bei denen, die mir nur zeitweise Weggefährten meines Lebenswegs gewesen waren, tat ich das auch. Bei den Menschen, die meinem Herzen näher standen, entschloss ich mich jedoch dafür, ihnen aktiv eine zweite Chance zu geben, und ich meldete mich bei ihnen, als es mir wieder gut ging.
Drei Dinge ließen mich zu diesem Entschluss kommen:
Einmal die rein praktische Tatsache, dass sich Kontakte zur Umwelt sehr ausdünnen, wenn man zu strenge Maßstäbe anlegt.
Zum zweiten weiß ich: »Nobody is perfect.« Niemand kann und will immer die Hilfe leisten, die andere von einem erwarten. Und jeder von uns hat wohl auch selbst schon einmal jemanden hängen lassen, der Hilfe gebraucht hätte.
Der dritte Grund für meine Entscheidung war eine Passage aus Mitch Alboms Buch »Tuesdays with Morrie«. Hier geht es um einen Professor, der an einer tückischen Muskelkrankheit leidet, die letztendlich zum Ersticken führen wird. Er erlebt den Abschied aus seinem Leben bewusst und schaut in Dankbarkeit auf sein gelebtes Leben zurück. Was er dabei schmerzlich bedauert, ist jedoch, dass er einem engen Freund, der versäumt hat, ihn während der Krebskrankheit seiner Frau zu unterstützen, bis zu dessen Tod nicht vergeben konnte.
Ich tat also bei Freunden, die mir wichtig sind, den ersten Schritt und es hat sich wieder ein netter, wenn auch lockerer Kontakt ergeben, den ich als bereichernd empfinde. Das soll nicht heißen, auf Biegen und Brechen an einer Beziehung, von der Sie enttäuscht sind, festzuhalten. Ich plädiere nur dafür, lieber noch einmal nachzudenken, bevor Sie den Kontakt abbrechen.
SABINE WEHNER-ZOTT
Entscheidungen treffen
In einer Depression wird das Selbstvertrauen des
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