Die Seelen im Feuer: Historischer Roman (German Edition)
nach Abdias Wolffs Flucht das Haus durchsucht hatten. Die Malefizkommission stand vor einem Rätsel, denn der Apotheker war aus dem offensichtlich versperrten Hexenhaus entkommen. Man hatte erfolglos die ganze Stadt durchkämmt und schließlich die Wächter entlassen. Abdias Wolff aber war und blieb verschwunden.
»Grüß Gott, Johanna.«
Sie fuhr herum. Wie gut sie seine Stimme noch kannte! Da stand er nun vor ihr, in feineren Kleidern, als er sich früher hatte leisten können, im Gesicht aber immer noch denselben harten, leicht hochmütigen Ausdruck wie immer. Sie suchte in sich nach irgendeinem Gefühl, Liebe, Hass, Trauer, Wut, aber sie fand keines.
»Ich bin durchs Gartentor gekommen, es stand offen«, rechtfertigte er sich.
Sie stand auf, den kleinen geschmiedeten Dreizink zum Graben fast wie eine Waffe in der Hand. »Was willst du?«
»Mit dir reden.«
Mit einem Mal fiel es ihr ein. Er war ja Schreiber bei den Malefizprozessen. »Hast du Nachricht von meinem Vater?«
Er wehrte ab. »Nein, nein, für deinen Vater ist der zweite Schreiber zuständig. Ich kann nicht alle Protokolle selber führen … «
»Ach so.« Sie wartete.
»Ich bin aus einem ganz anderen Grund hier«, fuhr er fort. »Es ist, weil … nun, ich möchte gern reinen Tisch machen … «
Sie lachte kurz auf. »Warum so plötzlich?« Ein Rosmarinzweig fiel ihr aus dem Buschen, den sie in der Hand hatte. Schramm hob ihn auf und hielt ihn ihr hin. Sie beachtete die Gabe nicht, und er ließ das Kraut fallen.
»Weißt du«, sagte er, »wir sollten uns einfach vertragen, jetzt, wo du wieder da bist.« Sie sagte nichts.
»Damals«, fuhr er fort, »nun ja, da dachte ich, du würdest nicht ernsthaft der Meinung sein, dass unsere Verlobung noch Bestand hätte. Schließlich warst du als Hexe angeklagt. Da konntest du doch nicht davon ausgehen, dass ich – in meiner Stellung bei der Hexenkommission – an einer Heirat festhalten würde. Ich bin überzeugt, dass meine Entscheidung das Beste für uns alle war und immer noch ist.«
»Das Beste für dich«, gab sie zurück. In ihrer Stimme spiegelte sich all die Verachtung, die sie aufbringen konnte. »Danke, dass du für mich mitentschieden hast.«
Eine frühe Hummel summte an seinem Gesicht vorbei, und er sah ihr nach, während sie träge am aufgebrochenen Boden entlangbrummte.
»Schau, Hanna«, meinte er, »ich will keinen Streit mit dir. Mir wäre es am liebsten, wir könnten Freunde bleiben.«
Sie stieß ihren Dreizink tief in die aufgeworfene Erde des Kräuterbeets. »Freunde wie dich brauch ich nicht, Hans Schramm.«
Er presste die dünnen Lippen aufeinander und spürte das unangenehme Spannen des Bläschens, das wie so oft in anstrengenden Momenten in der Ecke seines Mundes aufgeblüht war. »Wie du willst, Hanna. Trotzdem … «
»Warum bist du also hier, Hans?« Sie verlor die Geduld. »Sag, was du zu sagen hast, denn ich hab zu tun.«
Er straffte den Rücken. »Ich möchte dich bitten, dass du mich freigibst.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Dich freigeben? Du hast dich doch längst selber freigegeben. Seit wann kümmert dich, was ich dazu zu sagen habe?«
»Seit ich wieder heiraten will«, erwiderte er.
Es überraschte sie, wie wenig sie diese Eröffnung berührte. »Wer ist denn die Glückliche?«, wollte sie wissen.
»Die Maria Dietmayer vom Bürgermeister. Und sie möchte, dass ich vorher meinen Frieden mit dir mache.«
Johanna blickte ihren ehemaligen Verlobten an. Es war, als ob ein Fremder vor ihr stünde. Er kam ihr kleiner vor, als sie ihn in Erinnerung hatte, kleiner und schwächer. Endlich sah sie ihn so, wie er wirklich war. Ein ehrgeiziger, kalter, rücksichtsloser Mensch, der mit allen Mitteln vorankommen wollte. Und sie hatte einmal ihr Leben mit ihm verbringen wollen. Blind war sie gewesen. »Du kannst sie gern nehmen, Hans, ich will dich um alles in der Welt nicht mehr. Sei besser zu ihr, als du zu mir warst.«
Schramm mahlte mit den Kiefern. »Gut, Hanna. Dann auf Wiedersehen.«
»Leb wohl, Hans, und viel Glück.« Sie drehte sich um und wandte sich wieder ihrem Kräuterbeet zu. Er stand noch einen Augenblick da, dann ging er am Brunnen vorbei zum Gartentor zurück.
Auf dem Rand des Brunnentrogs saß rittlings Antoni, der sich herangeschlichen und die ganze Zeit zugehört hatte. Er spitzte mit einem scharfen Messer eine Haselrute an.
»Na, Toni, das wird aber ein schöner Spieß«, sprach ihn Schramm an und blieb stehen.
»Hau bloß ab, du
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