Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
mit einem Mal etwas besser. Der sympathische Polizeibeamte schien
genau zu wissen, was er zu tun hatte. Erleichtert sank sie auf den Boden
zurück. Es folgten bange Minuten des Wartens, währenddessen Lucie unruhig
abwechselnd auf ihrer Unterlippe oder auf ihren verbliebenen Fingernägeln
herumkaute. Der emsige Pater hatte währenddessen den Erste-Hilfe-Koffer
geöffnet und die Stirnwunde mit Alkohol desinfiziert und ihr anschließend ein
dickes Pflaster verpasst. Lucie hatte alles mit sich geschehen lassen.
"Sie
machen sich wohl große Sorgen um die Signora Anna, nicht wahr? Aber haben Sie
keine Angst, Signorina. Unsere Anna ist unverwüstlich. Ich kenne sie schon sehr
lange. Der Herrgott hat ein besonderes Auge auf sie", meinte Pater Serrano
sanft.
Lucie
ließ von ihrer Unterlippe ab und hob den Kopf. Ihr fiel auf, wie schön er trotz
seines fortgeschrittenen Alters war. Er hatte gütige Augen und von seinem
Gesicht ging ein sanftes, inneres Leuchten aus. Merkwürdigerweise löste gerade
diese sanfte Art einen jähen Anflug von Wut in ihr aus, eine Art Ventil ihrer
Sorge um die Sassis und ihren Bruder. Der arme Pater Serrano wusste nicht wie
ihm geschah, als er unvermittelt zu ihrem Blitzableiter mutierte: "Der
Herrgott mag vielleicht ein besonderes Auge auf seine Schäfchen haben, aber in
letzter Zeit hat er nicht gerade Überstunden gemacht." Herausfordernd
blitzte sie ihn an.
Offen
und ohne Arg, erwiderte dieser: "Ich spüre Ihren Zorn. Warum erzählen Sie
mir nicht einfach, was passiert ist?"
Und
plötzlich erschien es Lucie das Richtige, sich einem fremden Pfarrer am Rande
einer staubigen Landstraße anzuvertrauen. Der Pater hörte ihrem hastig
vorgetragenen Wortschwall geduldig zu. Mehr noch als ihren Worten, lauschte er
jedoch dem, was Lucie ihm verschwieg.
"Liebes
Kind, darf ich nach Ihrem Namen fragen?"
"Oh,
natürlich, T´schuldigung, Lucie von Stetten", antwortete sie und streckte
ihm die Rechte entgegen, da es für Höflichkeit bekanntlich nie zu spät war.
"Erfreut,
ich bin Pater Stefano Serrano. Wie Sie wissen, ist es mein Beruf, den Menschen
in die Seele zu sehen. Nun, und ich bin sicher, wenn die alte Anna hier wäre,
würde sie Ihnen das Gleiche sagen wie ich: Was auch geschehen mag, der heutige
Tag gehört zu ihrem Schicksal."
Genau
dies hatte die Anna bereits versucht, Lucie begreiflich zu machen. Aber Ihr
Verstand hatte sich nach den schrecklichen Ereignissen allen Vernunftgründen
gegenüber verschlossen und sträubte sich dagegen, eine Art Trost darin zu
sehen, wenn man alles, was einem das Schicksal an Ungerechtigkeit bescherte,
seinem Gott in die Schuhe schieben konnte. Tja, nichts zu machen, Gott hatte es
so bestimmt. Einfach und bequem. Amen. Rabea hätte es nicht besser ausdrücken
können. Pater Serrano sah, wie Lucie mit sich selbst kämpfte und respektierte
ihr Schweigen. Dann wurde ihnen beinahe gleichzeitig die Stille bewusst: vom
Berg waren keine Schüsse mehr zu hören! Gerade noch hatte bedeutungsschweres
Schweigen sie getrennt, nun einte sie dieselbe Sorge um den Ausgang des Dramas
auf dem Berg.
Plötzlich
schreckte der Pfarrer hoch und schlug sich mit der flachen Hand gegen die
Stirn: "Bei unserem Heiland. Warum habe ich nicht früher daran
gedacht", entfuhr es ihm. „Was ist, wenn die Verbrecher Olivo und Pitti
erwischt haben? Dann wären Sie weiter in Gefahr, Signorina Lucie. Wir sollten
nicht hier bleiben, bis es völlig sicher ist. Kommen Sie. Können Sie
aufstehen?" Er reichte ihr eine mit unzähligen Altersflecken gesprenkelte
Hand, die sich jedoch erstaunlich fest und kräftig anfühlte und zog die junge
Frau ohne viel Federlesens hoch. Er griff nach der Polizeijacke und meinte:
"Wir nehmen meinen Wagen und lassen den von Alfredo hier stehen. Ich kenne
eine kleine Lichtung weiter die Straße hinauf, dorthin fahren wir und warten
ab, was sich als nächstes tut." Der Pater hakte Lucie unter und führte sie
zum Beifahrersitz des winzigen Autos. Der Fiat hatte bereits über drei
Jahrzehnte auf dem Buckel, wirkte aber tipp topp gepflegt. Lucie zwängte ihre
1,76 Meter vorsichtig auf den Beifahrersitz. Der Pfarrer hatte zwar alle
Fenster heruntergekurbelt, trotzdem herrschte innen hochsommerliche
Backofenhitze. Lucie strich sich eine feuchte Strähne aus der Stirn. Pater
Serrano hatte ihr fürsorglich beim Einsteigen geholfen, nun schloss er ihre
Türe. Lucie war immer noch leicht schwindelig. In der Mittagshitze, mit einem
Packen Sorgen und einer Platzwunde
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