Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
sperrigen Lieferwagen hätte rangieren können. Sie würde erst im Tal
umkehren können, wenn es womöglich zu spät sein würde. Nach einer schier endlos
währenden Fahrt, mündete der Weg endlich in die reguläre Landstraße. Lucie warf
auf der Suche nach einem etwaigen Verfolger einen weiteren, nervösen Blick in
den Rückspiegel und leitete gleichzeitig das Wendemanöver ein, was sich als ein
Fehler erwies: Durch ihre kurze Unachtsamkeit wäre sie beinahe mit einem von
rechts um die Kurve schießenden Polizeiwagen zusammengestoßen. Beide Fahrzeuge
bremsten mit quietschenden Reifen hart ab. Lucie, die sich in der Eile der
Flucht nicht angeschnallt hatte, wurde nach vorn geschleudert und stieß sich
ihren Kopf schmerzhaft an der Windschutzscheibe. Benommen blieb sie im Wagen
sitzen. Die Türen des Polizeifahrzeuges sprangen auf und zwei uniformierte
Männer eilten hastig zu ihr. Der ältere der beiden Beamten riss die Fahrertür
auf und Lucie fiel ihm direkt in die Arme.
"Signorina,
meine Güte. Was machen Sie denn?“ Er stützte die taumelnde junge Frau und
führte sie fürsorglich an den Straßenrand.
"Benito,
avanti. Die Signorina hat eine kleine Platzwunde an der Stirn. Hol sofort den
Erste-Hilfe-Koffer aus unserem Wagen und rufe einen Krankenwagen. Dann sichere
die Straße ab. Ein Unfall genügt."
Das
umsichtige und schnelle Handeln des Beamten ließ Lucie Hoffnung schöpfen.
"Bitte,
Sie müssen sich beeilen. Ich komme gerade von der alten Anna Sassi vom Berg.
Sie und ihr Sohn werden von bewaffneten Männern überfallen. Hören Sie doch, da
oben wird geschossen." Lucie hatte den Mann flehentlich an seinem Arm
gepackt. Der Polizist starrte sie ungläubig an. Für einen Moment glaubte Lucie
in seinen Augen den Gedanken aufblitzen zu sehen, dass die am Kopf verletzte junge
Frau durch den Unfall verwirrt war. Aber tatsächlich waren in der Stille des
Tals eindeutig mehrere Schüsse zu hören. Die deutlich hallenden Schüsse
wiederum beruhigten Lucie, bedeuteten sie nicht weniger, als dass die tapferen
Bergbewohner ihren Angreifern weiter Paroli boten.
Der
ältere Polizeibeamte, der sich ihr nun als Sergente Federico Olivo vorstellte,
war Capitano Beninis Stellvertreter, und von ihm geschickt worden, um bei der,
wie Benini es genannt hatte , verrückten alten Anna nach dem Rechten zu
sehen. Da Olivo sich zufällig wegen eines anderen Auftrages in der Nähe
befunden hatte, war er so schnell zur Stelle gewesen. Jetzt musste er der
Signorina Recht geben, da oben wurde tatsächlich geschossen. Dass es sich um
keine der üblichen Hetzjagden handelte, erkannte Sergente Olivo, selbst ein
leidenschaftlicher Jäger, wie viele Männer in dieser hügeligen Berglandschaft,
auf Anhieb. Eine Treibjagd auf Hasen oder Wildschweine hörte sich ganz anders
an: Es fehlte das weithin hallende, hysterische Bellen der begleitenden
Hundemeute. Zudem hatte der Sergente in dem Lieferwagen den von Alfredo Sassi
erkannt. Die junge Signorina vermittelte zwar einen mitgenommenen Eindruck in
ihrer verschmutzten und zerrissenen Kleidung, aber der erfahrene Beamte
verfügte über eine gute Menschenkenntnis und war sich sicher, dass sie trotzdem
nicht zu der Sorte Mensch gehörte, die fremde Wagen stahl, also musste Alfredo
ihr den Wagen persönlich anvertraut haben.
Plötzlich
bog ein weiteres Fahrzeug, ein uralter himmelblauer Fiat 500 um die Kurve. Der
Fahrer bremste beim Anblick des zweiten Beamten, der soeben dabei war, die
unübersichtliche Stelle mit einem Warndreieck zu sichern, derart heftig ab,
dass es das kleine Fahrzeug beinahe auf zwei Reifen aus der Kurve hob. Ein
betagter Herr in einer langen schwarzen Soutane, stieg aus und eilte mit
geschürztem Rock auf sie zu.
"Was
ist passiert? Kann ich helfen?", rief der alte Pater besorgt, noch bevor
er sie ganz erreicht hatte. Ohne Rücksicht auf Soutane und Alter fiel der Pater
neben Lucie auf die Knie.
"Pater
Serrano. Sie kommen wie gerufen", begrüßte ihn Olivo erleichtert.
"Nur ein kleiner Unfall. Die Wunde der jungen Dame scheint nicht weiter
schlimm zu sein. Benito hat aber für alle Fälle einen Krankenwagen gerufen.
Wenn Sie bitte solange bei der jungen Dame bleiben würden, bis der Krankenwagen
kommt, wäre ich Ihnen sehr verbunden. Wir müssen bei der alten Anna oben nach
dem Rechten sehen", erklärte Olivo dem Neuankömmling und an seinen
Kollegen gewandt: Benito, auf. Es geht zum Hof der Sassis. Ruf uns Verstärkung
und halte deine Waffe bereit."
Lucie
fühlte sich
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