Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
zu beschädigen. Den Inhalt des
zweiten Behälters, mehrere Rollen jüngeren Pergaments, hatte er daneben gelegt.
Das Pergament der älteren Rolle war viel brüchiger und die Schrift darauf verblasst,
trotzdem aber noch gut lesbar. „Das ist eine aramäische Schrift“, meinte Pater Simone.
„Interessant ist, dass die eine Rolle ein Original zu sein scheint, während der
zweite Behälter ein Dutzend fein säuberlich abgeschriebener Kopien enthielt.“
„Aha,
da hat sich wohl schon einmal jemand intensiv mit den Dokumenten beschäftigt.
Schade, dass sie sie lieber mehrmals abgeschrieben haben, statt gleich eine
Übersetzung davon anzufertigen“, bemerkte Rabea enttäuscht.
„Ja,
es ist nie einfach, nicht?“, seufzte Simone. Er beobachtete Rabea verstohlen.
Konnte sie es auch spüren? Schon bei der ersten Berührung des alten Pergaments
hatte er gewusst, dass es heilige Worte waren. Und wenn es sich doch um verschollenes
Evangelium handelte? Er konnte seine Erregung kaum zügeln. „Das heißt, du
kannst kein Aramäisch, oder? Na ja, vielleicht findet sich ja eine Übersetzung
bei den anderen Dokumenten oder in Bentivoglios Aufzeichnungen. Wir machen dann
wohl am besten weiter.“ Tröstend klopfte sie Simone auf die Schulter und kehrte
zu ihrem Stapel auf dem Fußboden zurück.
Da
beinahe alle Dokumente chiffriert waren, wuchs der Stapel der chiffrierten und
vermutlich interessanteren Dokumente stetig. Endlich stieß sie auf ein
unchiffriertes Detail, das ihren Puls beschleunigte. Sie hielt eine Aufstellung
bekannter europäischen Universitäten in der Hand. Diente sie einem Studenten
als Entscheidungshilfe oder steckte mehr dahinter? Dem Blatt lag eine hastig
hingekritzelte Notiz bei:
"Mein
lieber Bruder im Geiste,
anbei
die Liste, um die Du mich gebeten hast.
Die
Notiz enthielt keinerlei Anrede oder Unterschrift.
Sie
zog ihren Laptop heran und recherchierte etwas im Web. Das war ja interessant.
Der Fund untermauerte tatsächlich eine ihrer Theorien. Sie sah auf ihre Uhr,
kurz nach sechs. Zeit für einen weiteren Anruf bei Lukas. Sie hatte ihm
versprochen, sich stündlich bei ihm zu melden, das erste Mal gleich nach ihrer
Ankunft im Appartement. Telefonieren war sicher, die Wohnung in der Coronari
war wanzenfrei - nicht nur dank Commissario Grassa, sondern Lukas’ Vater hatte
darauf bestanden, die Wohnung nach Grassas Abgang nochmals von Fontons Team
untersuchen zu lassen. Rabea zog ihr Handy hervor. Schon bei ihrem ersten
Telefonat hatten sie und Lukas auf einen unverbindlichen Ton zurückgegriffen.
Lukas meldete sich nach dem zweiten Klingeln: "Pronto?"
"Hallo,
ich bin´s."
"Rabea!"
Lukas klang erleichtert. "Gibt es schon etwas Neues?"
"Nichts
Weltbewegendes. Wir haben mit Bentivoglios Aufzeichnungen in Latein und 56
Seiten dick, angefangen und fertig auf dem Laptop. Simone wirft eben einen
ersten Blick auf den Inhalt der beiden Behälter. Die Schriftrollen darin sind
in Aramäisch verfasst. Die eine Rolle scheint wirklich sehr alt zu sein. Simone
meint das auch. Im zweiten Behälter befanden sich genaue handschriftliche
Kopien. Simone kann sich kaum von ihnen losreißen. Er liest und liest und das,
obwohl er gar kein Aramäisch kann, wie er selbst zugegeben hat. Völlig
verklärt, der Gute - als ob er zu viel Weihrauch inhaliert hat“, beschrieb sie
ihn und bedachte Simone mit einem amüsierten Blick.
Aber
Simone war tatsächlich so in den Text versunken, dass er ihre Bemerkung gar
nicht mitbekommen hatte.
"Prima“,
erwiderte Lukas geistesgegenwärtig, dabei wunderte er sich sehr. Sein Freund
konnte nämlich sehr wohl Aramäisch. Er musste schwerwiegende Gründe haben, wenn
er sich zu einer solchen Lüge genötigt gesehen hatte. Welches Geheimnis barg
diese Rolle? „Hast du sonst noch irgendetwas entdeckt?", erkundigte er
sich weiter, bevor sich das Schweigen ausdehnen konnte.
"Schon,
aber es sind nur Fragmente. Die Dokumente sind kunterbunt gemischt: Briefe,
Listen, Quittungen. Mir kommt es so vor, als hätte jemand auf die Schnelle
seinen Schreibtisch ausgeräumt und wahllos alles in eine Tasche gestopft. Beinahe
alles ist chiffriert. Ich habe auf meinem Laptop ein Programm, das die gängigen
Chiffiriercodes der letzten vierhundert Jahre knacken kann. Vielleicht haben
wir Glück, aber darum kümmere ich mich später, wenn wir wieder bei dir in der
Coronari sind. Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Das wenige, das nicht
codiert ist, klingt trotzdem merkwürdig.“
"Was
meinst
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