Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
und
zugleich nachlässig gekleidet zu sein, wirkte sie jetzt wie einem französischen
Modejournal entsprungen. Perfekt geschminkt und frisiert, war aus ihrem Gesicht
alles jovial-harmlose getilgt. In der düsteren Umgebung wirkte ihre elegante
Aufmachung merkwürdig deplatziert. Rabeas Augen wurden auf die tadellos
manikürten Hände der Professorin gelenkt. Sie trug einen einzelnen Ring an der
linken Hand, mit einem riesigen Diamanten. Doch es war nicht der Schmuck, der
Rabeas Aufmerksamkeit erregte, sondern die Schere, mit der die Finger der
Holländerin spielten. Wie beiläufig ließ sie sie nun mehrmals auf- und
zuschnappen, dann trat sie hinter Rabeas Stuhl. Die junge Frau ahnte bereits,
was sie damit vorhatte. Richtig, eine kräftige Hand packte ihren Zopf, zerrte
ihren Kopf grob daran nach hinten und trennte ihr Haar dicht an ihrem
Halsansatz ab. Das Geräusch der Schere, die sich durch den faustdicken Strang
kämpfte, schnitt Rabea durch Mark und Bein. "Das wollte ich schon bei
unserer ersten Begegnung tun. Ich hasse es, wenn jemand schönere Haare hat als
ich."
Verständnislos
starrte Rabea auf die dichte, blond gesträhnte und schulterlange Mähne ihrer
Peinigerin. Ihre Haare wirkten, als ob sie gerade eine Sitzung bei einem
erstklassigen Coiffeur hinter sich hätte. Die Professorin war ihrem fragenden
Blick gefolgt. "Was soll´s, sie werden es sowieso niemandem mehr erzählen.
Mein eigenes Haar ist dünn und kraus. Schon einmal etwas von Haarverdichtung
mit Echthaar gehört? Ist schweineteuer."
"Sie
haben doch genug Geld geerbt, und mit Ihren Veröffentlichungen müssen Sie
weitere Millionen verdient haben", erwiderte Rabea lahm. Das Haarproblem
der Professorin interessierte sie so gar nicht.
"Das
heißt noch lange nicht, dass ich es zum Fenster hinauswerfen muss." Achtlos
ließ sie den Zopf auf den Boden fallen. "Genug. Woraus genau bestehen
Bentivoglios Dokumente? Geheime Protokolle? Verschollene Evangelien? Eine
Gegenbibel?"
"Und
woher soll ich das bitte wissen?", entgegnete Rabea aufsässig und
registrierte gleichzeitig erstaunt, wie leicht sich ihr Kopf plötzlich
anfühlte. Sie hätte gerne in ihren Nacken gefasst, wurde aber durch ihre
gefesselten Hände daran gehindert. Verwundert starrte sie auf das leblose Stück
Zopf zu ihren Füßen. Seit sie ein Kleinkind war, hatte sie das angenehm
vertraute Gewicht auf ihrem Rücken durch ihr Leben begleitet. Es war ein
komisches Gefühl, es plötzlich nicht mehr spüren zu können.
Indessen
fuhr die Professorin fort. "Kommen Sie, ich weiß Bescheid. Sie wurden
dabei beobachtet, wie sie die Dokumente heute zusammen mit dem Zwillingspfaffen
aus dem Schließfach einer Provinzbank in den Marken geholt und dann im Haus in
der Coronari versteckt haben. Ich habe keine Lust mehr, noch länger zu warten.
Wir werden sie uns heute Nacht holen."
Rabea
blieb bei dieser Nachricht beinahe das Herz stehen. Die maskierten Männer auf
dem Hof! Das war es also. Sie planten einen Überfall auf die Wohnung in der
Coronari. Während sie blitzschnell die Chancen der Bewohner durchkalkulierte,
die durch die Männer von Lucies Vater verstärkt worden waren, begriff sie
beinahe zur selben Zeit, dass es gar nicht zu einem Kampf Mann gegen Mann
kommen würde: Mit Schrecken erinnerte sie sich an die Gasmaske, die sie im Hof
gesehen hatte. Wenn sie bei ihrem Überfall mit einem Betäubungsgas vorgingen,
hätte von vorneherein niemand eine Chance. Verzweifelt überlegte sie, wie sie
den Überfall verhindern konnte und versuchte es zunächst mit einem Bluff:
"Tut mir leid, Frau Protektor aber ich muss Sie enttäuschen, das
Schließfach war leer, das haben wir auch bereits dem Commissario mitgeteilt.
Jemand muss uns zuvorgekommen sein."
„Netter
Versuch, aber so geht das nicht“, erwiderte die van Kampen mit einem maliziösem
Lächeln. „Sie haben das Treppenhaus mit den Lederhüllen betreten, aber durch
meinen Informanten bei der Polizei weiß ich, dass sie diese nicht mit in die
Wohnung genommen haben, sonst hätte sie unser wackerer Commissario konfisziert.
Wenn die Lederbehälter leer waren, warum dann der Aufwand? Kommen Sie, Sie sind
Journalistin, Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, dass sie nicht schon
darin herumgestöbert haben. Das ist Ihre letzte Chance, meine Frage zu beantworten,
bevor ich Gabriel sein Mütchen an Ihnen kühlen lasse.“
„Nur
zu, tun Sie sich keinen Zwang an. Weder ich noch Pater von Stetten wird sich
von Ihnen erpressen lassen, das haben
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