Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
ein gutes Zeichen ist. Doch ich bitte Sie, nur ein paar Minuten.
Bedenken Sie, dass die Signorina durch den hohen Blutverlust sehr geschwächt
und ihr Kreislauf alles andere als stabil ist. Jegliche Aufregung muss deshalb
vermieden werden. Folgen Sie mir, ich gebe Ihnen sterile Kleidung.“
Wenige
Minuten später betraten die drei, in hellblauen Kitteln und mit Mundschutz,
hinter dem Arzt das kleine Zimmer auf der Intensivstation. Außer dem Rollbett
und den vielen medizinischen Apparaturen befand sich nur ein kleines,
schlichtes Kreuz über dem Bett, ansonsten war das Zimmer leer. Der übliche
schwache Geruch nach Karbol hing in der Luft. Der Arzt ermahnte sie alle, vor
allem die Patientin, sich kurz zu fassen und ließ sie dann notgedrungen allein,
da er von einer Schwester zu einem neuerlichen Notfall gerufen wurde. Rabeas
zarte Gestalt wurde beinahe von den vielen Apparaturen, an die sie
angeschlossen war, verschluckt. Ihr roter, gestutzter Wuschelkopf fungierte als
einziger Farbtupfer weit und breit und verlieh ihr das Aussehen eines listigen
Kobolds. Rabea versuchte sich bei ihrem Eintreten an einem zaghaften Lächeln,
das jedoch irgendwo auf halbem Wege stecken blieb.
Von
seinen Gefühlen überwältigt, kniete Lukas neben ihrem Bett nieder und legte
seine Stirn in ihre offen dargebotene, kleine Handfläche. Lucie und Jules
traten an die andere Seite des Bettes. Lucie strich ihrer Freundin zart die
feuchten Strähnen aus der Stirn, während Jules mit gesenktem Kopf und hängenden
Schultern unschlüssig neben ihr stehen blieb, als ob er für sich kein direktes
Recht beanspruchte, sich ihr weiter zu nähern. Er entsprach mehr denn je dem
Bild eines Schuldigen kurz vor dem Urteilsspruch.
Sensitiv
wie immer, hatte Rabea sofort erkannt, wo Jules der Schuh drückte. Ihre Stimme
klang zwar nicht so fest und sehr viel leiser als sonst, aber sie hatte nichts
von ihrer Bestimmtheit verloren. "Jules, komm her zu mir", und als er
mit gesenktem Kopf näher trat: "Ich weiß, was los ist. Mach dir keine
unnützen Vorwürfe, hörst du. Es war nicht deine Schuld. Dieser Teufel war uns
in seiner Bösartigkeit tausendmal überlegen. Du hättest es nicht verhindern
können."
"Natürlich
war es meine Schuld“, erwiderte Jules und begegnete erst jetzt ihrem Blick:
„Ich habe es versäumt, ihn auf weitere Waffen zu durchsuchen. Wenn ich es getan
hätte, dann lägest du jetzt nicht hier. Ich werde es mir nie verzeihen",
klagte er sich selbst an.
"Papperlapapp",
schimpfte Rabea leise. "Ich will nichts mehr davon hören, es regt mich
auf. Und laut Arzt soll ich mich nicht aufregen. Wenn du meinen Zustand
verschlechtern willst, mach also ruhig so weiter", erwiderte Rabea und
trug einmal mehr den Sieg in einem verbalen Duell davon. Jules wirkte nicht
überzeugt, aber seine düstere Miene hatte sich bei Rabeas Worten doch etwas
aufgehellt.
Diese
wandte sich nun Lucie zu: "Lucie, Engelchen. Proper siehst du aus, wie das
blühende Leben."
"Kann
man von dir nicht gerade behaupten. Du siehst aus wie ein gerupftes Suppenhuhn.
Du solltest deinen Friseur auf Schadenersatz verklagen, weißt du?", zog
sie ihre Freundin liebevoll auf.
"Charmant.
Aber ich bin froh, dass du dein böses Abenteuer so gut weggesteckt hast. Was
ist mit meinem Großvater?", erkundigte sie sich nun und ließ ihre Augen
fragend auf Lucie ruhen. Statt ihrer Freundin antwortete Lukas auf die Frage:
"Ich habe mit ihm gesprochen, Rabea. Es geht ihm gut. Ich soll dir von ihm
ausrichten, dass er für dich beten wird. Und er hat mir etwas für dich
aufgetragen. Ich musste ihm versprechen, es wortgetreu zu wiederholen. Seine
Worte lauteten: "Seit vielen Jahren übergehe ich eine Zeile bei meinem
Morgengebet."
Rabea
hatte ihm staunend zugehört. Nun legte sich ein wundersam glückliches Lächeln auf
ihre erschöpften Züge und ließ ihre Schönheit für einen Moment erneut
aufleuchten.
Rabea
wusste, was ihr Großvater ihr mit diesen Worten mitteilen wollte. Es war seine
Art, ihr zu sagen, dass er damals im Unrecht gewesen war. Ihre Gedanken kehrten
an jenen Tag zurück, als ihre kleine, fest gefügte Welt ins Wanken geraten war.
Sie war damals zehn gewesen und lebte bereits seit einigen Jahren bei ihren
Großeltern. An ihre Eltern konnte sie sich kaum mehr erinnern. Sie waren
während eines Kurzaufenthaltes in Jerusalem bei einem Bombenanschlag in einem
Café in der Innenstadt ums Leben gekommen. Rabeas Mutter hatte ihrem Ehemann
die Wurzeln ihres Glaubens zeigen
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