Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
wollen.
Von
ihrem irisch-stämmigen Vater hatte Rabea nicht nur ihre roten Haare, sondern
auch das ungestüme Temperament geerbt. Mehr als einmal war sie in der Schule in
wilde Raufereien verwickelt. Eines Nachmittags hatten sich einige Jungen nach
der Schule zum Fußballspielen getroffen und Rabea, die Fußball liebte, schloss
sich ihnen unaufgefordert an. Die Jungen ließen sie meist mitspielen.
Offiziell, weil ihnen ein Mann fehlte, inoffiziell, weil die Mannschaft, in der
Rabea spielte, meist haushoch gewann, da sie, klein und flink, die meisten Tore
schoss. Aber diesmal kam es anders. Ein hübscher, für seine dreizehn Jahre
relativ großer, dunkel gelockter Junge, der erst kürzlich neu in die Schule gekommen
war, stieß sie derart grob weg, dass sie hinfiel. Höhnisch verkündete er, dass
ein gutes jüdisches Mädchen nicht Fußball spielte. Das Argument hatte Rabea
bereits früher gehört, aber was hatte es damit zu tun, dass sie Jüdin war? Seit
sie denken konnte, war sie vom Judentum und ihrer Herkunft fasziniert. Sie
kannte die mehr als dreitausend Jahre währende Leidensgeschichte ihres Volkes
in- und auswendig. Behände hatte sie sich vom Boden wieder hochgerappelt. Sie
glühte vor Wut. Ihre wenig beeindruckenden 125 Zentimeter zu voller Größe vor
ihm aufgebaut, stemmte sie ihre Arme in die Hüften und schleuderte ihm
kämpferisch entgegen: "Hast du etwas gegen Juden? Mein Großvater ist ein
Rabbi und ich werde auch einer werden!" Mit ihren riesigen grünen Augen
blitzte sie ihn herausfordernd an, überzeugt, dass allein die Erwähnung der
nahen Verwandtschaft mit einem Rabbi ihn sofort in Ehrfurcht erstarren lassen würde.
Der
Junge musterte sie eine Sekunde lang verblüfft, aber nur, weil ihm eine solche
Dreistigkeit von einem derart winzigen Mädchen in seinem ganzen bisherigen
Leben nicht widerfahren war. Dann brach er unvermittelt in höhnisches Gelächter
aus. Er schlug sich auf die Schenkel und schien sich vor Belustigung kaum mehr
beruhigen zu können. Er gluckste: "Hör sich einer diese Minigöre an. Will
Rabbi werden. Das ist bei weitem das Komischste, was ich je gehört habe. Pass
auf, Mädchen, was ich dir jetzt sagen werde und merke es dir gut. Ich bin
selbst Jude und weiß, wovon ich rede. Ein gutes jüdisches Mädchen heiratet,
bekommt Kinder und versorgt ihren Mann. Sie hat sonst keine andere Aufgabe. Ein
Mädchen kann auf keinen Fall ein Rabbi werden. Es gab nie weibliche Rabbis und
wird auch nie welche geben. Frauen sind minderwertigere Wesen als Männer, weil
sie ihnen geistig und körperlich unterlegen sind. Weißt du nicht, dass wir
erwachsenen Juden jeden Tag beim Morgengebet unserem Gott dafür danken, dass
wir keine Frauen sind? So und jetzt hau ab.“ Ohne ihr weitere Beachtung zu
schenken, ließ er sie stehen und winkte den anderen Jungen zu gehen.
So
leicht gab sich Rabea nicht geschlagen. Wutschnaubend stampfte sie mit ihrem
kleinen Fuß auf und weit hallte ihre klare Stimme über den Platz: "Du bist
ein dreckiger Lügner und außerdem nur ein Möchtegernmann."
Der
Junge blieb zunächst wie erstarrt in der Gruppe seiner Freunde stehen und
drehte sich dann ganz langsam zu ihr um. Mit großen Schritten kam er nun
zurück, das Gesicht wutverzerrt.
Unerschrocken,
das kleine Kinn hoch gereckt, sah ihm Rabea entgegen.
Der
Junge packte sie grob an den Schultern und brüllte: "Hör zu. Nenne mich
nie wieder einen Lügner. Du bist nur ein kleines Mädchen, und ich will mir die
Hände nicht an einem Winzling wie dir schmutzig machen. Aber noch ein Wort und
ich vergesse meine guten Manieren. Geh nach Hause und frage deinen
Rabbi-Großvater, ob ich ein Lügner bin. Und jetzt hau ab und lass uns endlich
in Ruhe Fußball spielen." Abfällig spuckte er neben ihr aus und gesellte
sich erneut seinen Kameraden zu.
Soviel
ehrliche Verachtung hatte in den Worten "nur ein kleines Mädchen"
gelegen, dass Rabea Tränen des Zorns in die Augen geschossen waren. Tapfer
kämpfte sie dagegen an, sonst würde der Idiot noch denken, sie würden ihm
gelten. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie würde nach Hause laufen und auf
der Stelle ihren Großvater holen. Ihm würde dieser Junge nicht so frech ins
Gesicht lügen. Stattdessen war alles anders gekommen und Rabeas Verehrung für ihren
Großvater hatte damals eine tiefe Wunde davon getragen, eine Wunde, die bis zum
heutigen Tage nie verheilt war. Der Streit mit dem Jungen auf dem Fußballplatz
hatte eine folgenschwere Kettenreaktion ausgelöst,
Weitere Kostenlose Bücher