Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
verbot der
Orden seinen Mitgliedern, sich aktiv an der weltlichen Politik zu beteiligen,
aber Emanuele lernte, dass er in der Praxis nichts anderes tat. Sein Orden mischte
sich ständig in die weltlichen Angelegenheiten der katholischen Länder Europas
und der Kolonien ein und die jesuitischen Beichtväter der katholischen
Königshäuser betätigten sich als eifrige Spitzel. Aber am meisten hat ihn die
Erkenntnis erschüttert, wie sehr die Kirche die Gläubigen von Anfang an um das
einzig wahre Vermächtnis Christi betrogen hatte. All dies stürzte den jungen
Jesuiten in eine schwere Glaubenskrise. In der Verbannung gelang es Emanuele
nicht, seine Mitbrüder zu überzeugen, dass es ihre Aufgabe wäre, die
katholische Staatskirche zu reformieren, stattdessen kam es zu einem heftigen
Streit um die Schatzkarte. Emanuele, maßlos enttäuscht von der Gier seiner
angeblichen Mitbrüder, zog deshalb die Karte hervor und hielt sie in einer
großen Geste an eine brennende Fackel, wo sie augenblicklich Feuer fing. Es kam
zu einem Handgemenge und das war auch das Ende der geheimen Treffen. Doch
Emanuele hatte nicht das Original verbrannt, sondern nur eine Kopie. Er plante,
selbst nach Südamerika zu reisen und die Schatzkarte den rechtmäßigen
Besitzern, den Indios, zurückzugeben. Wie gesagt, Emanuele war Idealist. Sein
älterer Bruder Piero, der die Versammlung heimlich belauscht hatte, entdeckte
seinen Betrug und forderte die Karte für sich. Er beschreibt nicht, was dann
geschah, oder was aus seinem Bruder Emanuele wurde. Er schreibt nur, dass er
eine schwere Schuld auf sich geladen hat und s owohl seinen Bruder, wie auch
seine Schwester, ins Unglück gestürzt hat. Doch Jahre später kehrte Piero sagenhaft
reich zurück. Er kaufte sich ein Adelspatent und ließ sich als Alexander von
Stetten in Nürnberg nieder. Den Verrat an seinem jüngeren Bruder hat Piero bis
an sein Lebensende bereut. Wohl deshalb, weil sein Bruder ein katholischer
Priester war, hat er immer fest am Katholizismus festgehalten. Dies also ist
die unrühmliche Geschichte unserer Familie. Jetzt kennst du unsere Schande,
Lukas. Unser Name ist verflucht, darum die vielen Unglücksfälle in unserer
Familie. Davon war jedenfalls Franz überzeugt. Sie haben ihn gefoltert, weil
sie hinter der Schatzkarte her waren. Aber der Narr hat ihnen nichts verraten.
Wer immer sie auch sind, sie ahnen, dass die Karte in unserem Besitz ist.
Momentan befindet sie sich sicher im Bürosafe der Firma. Mein Vater hat nach
dem ersten Weltkrieg mit dem wenigen, was noch von unserem Vermögen übrig war,
aus eigener Kraft ein neues Unternehmen von Weltgeltung geschaffen und ich
konnte darauf aufbauen. Aber es ist alles nichts wert. Dein Bruder Alexander
ist tot und beinahe hätten wir auch noch unsere Lucie verloren. Wofür? Sollen
wir auf ewig für den Fehler unseres Ahnen büßen?" Aufgewühlt schlug sein
Vater mit der Faust auf das Lenkrad.
Lukas
war zutiefst erschüttert. Er dachte an den Toten in der Höhle, von dem ihm
Bentivoglio erzählt hatte. Konnte es sich gar um seinen Vorfahren Emanuele
handeln? Beruhte das Ansehen und Vermögen seiner Familie womöglich auf Brudermord,
Diebstahl und Verrat? Immerhin fügten sich all die verwirrenden Ereignisse
endlich in einem für ihn schlüssigen Bild zusammen. Dem Namen di Stefano war er
bereits zuvor begegnet: Während der Beichte des Pater General, da es das
ehemalige Anwesen der di Stefanos gewesen war, wo dessen Bruder Cesare
Bentivoglio 1979 auf die geheime Höhle der Jesuiten gestoßen war. Als dann
Bischof von Stetten kurz nach der Entdeckung des Verstecks in der Bibliothek,
bei seinem langjährigen Freund Ignazio in Rom aufgetaucht war, um sich
ratsuchend an ihn zu wenden, musste dieser zu seiner Bestürzung die Zusammenhänge
zwischen den beiden Funden erkannt haben. Was sollte er jetzt tun? Die
Dokumente und Schriftrollen befanden sich in der Wohnung von Simones Bruder. Er
verstand seinen Vater, es war eine schwere Entscheidung, mit dem Fund der
Schatzkarte an die Öffentlichkeit zu gehen und damit die Schande seiner Familie
zu offenbaren. Was war die Alternative? Das Verbrechen und den Diebstahl durch
seinen Vorfahren zu verheimlichen?
Die
selbsternannte Protektorin war immer noch auf freiem Fuß und wer außer ihr,
wusste noch über das Familiengeheimnis Bescheid? Würde seine Familie bis an ihr
Lebensende wegen der Schatzkarte verfolgt und gejagt werden? Plötzlich krampfte
sich Lukas Herz zusammen. Das X auf der
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