Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
letzten drei Monaten so
oft gelesen, dass ich den Inhalt beinahe auswendig wiedergeben kann: Alexander von
Stetten, der sich 1778 in Nürnberg niederließ, hatte es begonnen und bis 1814,
dem Jahr seines Todes, peinlich genau fortgesetzt. Danach hat jeweils der
älteste Sohn die Eintragungen weitergeführt. Die Aufzeichnungen enden am 28.
Mai 1916, an jenem Tag, als mein Urgroßvater Heinrich starb. Seine beiden
Söhne, der jüngere Alexander und Ferdinand, mein Großvater, kamen beide als
Offiziere im 1. Weltkrieg um. Mein Urgroßvater musste damals wohl bereits vom
Schlimmsten ausgegangen sein und hat vor seinem Tod dafür gesorgt, dass der
gesamte Schatz in der Bibliothek der Villa eingemauert wurde, niemals durfte er
in falsche Hände gelangen. Mein Vater Heinrich war damals erst vier Jahre alt
und zu jung, um in das Geheimnis der Familie eingeweiht zu werden, das laut
Tagebuch nur mündlich auf dem Sterbebett auf den jeweils ältesten Sohn
überging. Darum geriet es im Laufe der Zeit in Vergessenheit, wurde zu einem
vagen Gerücht und schließlich nicht mehr als eine verblasste Erinnerung. Doch das
eigentliche Familiengeheimnis ist die unglaubliche Geschichte, die uns das
Tagebuch erzählt, Lukas. Ich muss etwas ausholen: Bestimmt hast du von Paititi
gehört?", und als Lukas nickte, "Dann weißt du, dass Paititi in den
Medien oft mit dem sagenhaften El Dorado, dem Land des Goldes, verwechselt
wird. Aber Paititi ist sein eigener Mythos, seine eigene Legende. Übersetzt
bedeutet es: "Verlorene Stadt der Inka", und bezeichnet den
mysteriösen Zufluchtsort der letzten Inka im Osten Perus. Als der Spanier
Franzisco Pizarro 1533 das Inkareich erobert hatte, hat es noch weitere vierzig
Jahre gedauert, bis die spanischen Konquistadoren die Festung Vilcabamba
einnehmen konnten, wohin sich der letzte Herrscher der Inka, Túpac Amaru,
geflüchtet hatte. Túpac wurde getötet, aber eine Gruppe von Inkas konnte
fliehen und den sagenhaften Schatz in Sicherheit bringen. Diese Geschichte
wurde erst 2001 durch den italienischen Archäologen Mario Polia bestätigt, der
in den Archiven der Jesuiten in Rom den Reisebericht des Missionars Andrea
Lopez wiederentdeckt hatte. Verfasst um 1600, beschreibt er darin eine Stadt, reich
an Gold, Silber und Edelsteinen, die von den Eingeborenen Paititi genannt wird.
Lopez hat den Papst damals über seine Entdeckung unterrichtet und es gibt
Verschwörungstheorien, die behaupten, dass die genaue Lage von Paititi seitdem
vom Vatikan geheim gehalten wird. Bis heute mühen sich Forscher und
Archäologen, der Legende von Paititi auf die Spur zu kommen. Man vermutet es im
weitgehend unerschlossenen Madre-de-Dios-Gebiet östlich von Cuzco oder östlich
des Titicacasees in Bolivien. Doch sie suchen alle an der falschen Stelle. Denn
dies ist unser Familiengeheimnis Lukas: Wir sind im Besitz der geheimen
Schatzkarte. Sie lag in dem Tagebuch, das Franz gefunden hat. Unser Vorfahre, Alexander
von Stetten, hieß in Wirklichkeit Piero Alessandro di Stefano und hat die Karte
seinem jüngeren Bruder gestohlen. Sein Bruder Emanuele war Jesuit, wie du. Doch
er war nicht irgendein Priester, sondern diente bis zum Verbot des Ordens 1773
dem letzten Pater General Ricci als persönlicher Sekretär. Ricci, der wusste,
dass sein Orden dem Untergang geweiht und er bald verhaftet werden würde,
wollte unbedingt verhindern, dass einige spezielle Dokumente aus seinem
Geheimarchiv dem Vatikan in die Hände fielen und erteilte seinem Sekretär den
Befehl, die besagten Dokumente zu retten. Emanuele gelang in den Wirren der
letzten Tage des Ordens tatsächlich die Flucht. Er versteckte sich auf der
alten Burg der Familie di Stefano mitten in den italienischen Abruzzen.
Emanuele nahm Kontakt zu einigen anderen Jesuiten auf, und sie trafen sich
mehrere Male in einer Höhle unter der Burg. Dabei wurde auch über die
Schatzkarte gesprochen. Einige Jesuiten verlangten von Emanuele die sofortige
Herausgabe. Überzeugt davon, dass der Papst käuflich war, planten sie eine
Expedition nach Paititi, um sich ihre Macht zurück zu kaufen. Aber Emanueles
Pläne sahen etwas anderes vor. Laut der Beschreibung seines Bruders Piero war
Emanuele eine reine Seele, ein Mann unverfälschten Glaubens, ein Idealist wie
der junge Luther, der sich aus tiefster Überzeugung in den Dienst Gottes gestellt
hatte und unverbrüchlich an seine Bestimmung glaubte. Als Riccis persönlicher
Sekretär hatte er Zugang zum innersten Zirkel der Macht. Eigentlich
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